Umzug essen Seele auf
Vor gut anderthalb Jahrtausenden beschlossen unsere Vorfahren, vor dem Klima und den Hunnen wegzulaufen, und begannen die Völkerwanderung. So wanderten die germanischen Stämme hin und her und vernichteten das Weströmische Reich. Die Lehre daraus: Ständiges Umziehen macht aggressiv. Da ich erst vor kurzem selbst wieder umgezogen bin und dennoch niemanden aus dem Leben scheiden ließ, erwarte ich meine baldige Nominierung für den Friedensnobelpreis.
Ein Umzug beginnt mit dem Suchen nach einer neuen Bleibe. Die erste Wohnung, die ich mir anschaute, lag in einem Neubaublock im Osten Berlins. Dass die Wohnungstür gepolstert war, als hätte man sie aus einem Sadomaso-Keller geklaut, konnte ich noch tolerieren. Andere Dinge hingegen nicht. Mit der Verlegung des PVCs hatte man offenbar eine Blindenwerkstatt beauftragt, die Tapete im Flur klammerte sich wohl nur dort an die Wand, wo jemand auf die Bahn geniest hat. Weiteres Entsetzen rief die wohl vor einigen Jahren nachträglich „verbesserte“ Elektrik hervor. Abenteuerlich verlegte Stromkabel verschwanden in schief angeflanschten Steckdosen, nicht ohne gelegentlich blanke Adern zu zeigen. Der schwarze Schimmel und die gesprungene Lampe in der Nasszelle waren weitere Punkte, die meine Begeisterung für dieses Wohnobjekt senkten. Die Angestellte der Wohnungsbaugesellschaft war allerdings von meiner Mängelliste nicht sehr beeindruckt. „Da machen wa nüscht mehr, müssense so nehmen. Ist ja auch billig.“ Ja, und wenn ich dank der Verkabelung ins Gras beiße, hab ich mehr Geld für meine Beerdigung.
Die Frau schien nicht sehr motiviert, mir irgendein Angebot ihres Arbeitgebers schmackhaft zu machen. Zudem zeigte sich ein weiteres Problem: Als Freiberufler hab ich keinen Chef, der mir einen Einkommensnachweis geben könnte. Ich müsste doch bitte einem Steuerberater Geld in den Rachen werfen, um ein regelmäßiges Einkommen nachzuweisen. Alternativen dazu gab es gar nicht, weder Bürgschaften noch Empfehlungsschreiben von Bill Gates würden akzeptiert werden. Ein Lottogewinner, der sich auf seinen steuerfreien Millionen ausruhen will, könnte bei dieser Firma also auch nicht mieten. Von solchen Problemen erfährt man bei „Mieten, Kaufen, Wohnen“ auf Vox nie. Da mich die Todesfalle, die sie Wohnung nannte, inzwischen aber auch wenig lockte, ließ ich die Frau in ihrem Büro allein und hoffte, dass das Schicksal ihr nie einen Job bei einer Suizid-Hotline bescheren wird, da sie dort mit der ihr innewohnenden Lebensfreude sogar geborene Optimisten zum Nuckeln an einem Gewehrlauf bringen würde.
Meine Freundin und ich fanden dann doch noch eine Altbauwohnung, die uns gefiel und für die ich niemanden bezahlen musste, damit er seine Nase in meine Kontobewegungen der letzten Jahre steckt. Das heißt aber nicht, dass es ab da entspannt weiter ging. So erfuhren wir zum Beispiel erst beim Lesen des Mietvertrags direkt vor der Unterzeichnung, dass es eine Mindestmietdauer gibt und die Miete in jedem Jahr um einen festen Betrag steigt. Direkt nach der Unterzeichnung sahen wir zufällig einen Brief der Hausverwaltung an die Makler, wonach die Wohnung (anders als im Mietvertrag angegeben) ohne Keller vermietet werden würde. Wir bestanden aber auf den uns versprochenen Kellerraum, der uns dann nach kurzer Zeit auch zugesagt wurde. Der Keller sollte uns später noch viel Freude machen, und das nicht etwa, weil er wie angekündigt etwas feucht ist.
In der Wohnung standen ein paar Möbel, damit es heimeliger aussieht, außerdem war ein Zimmer eine Art Lagerraum für weiteres Mobiliar, welches früher mal in den anderen, bereits vermieteten Wohnungen stand. Uns wurde angeboten, dass wir für ein bisschen Geld was von dem Krempel haben könnten. Gut, warum nicht? Wir guckten uns ein Bett, eine Kommode und ein paar Sessel aus, die uns der Makler auch empfohlen hatte, weil sie sehr bequem seien. Der Rest würde noch vor der Wohnungsübergabe abgeholt werden. Kurze Zeit später bekamen wir gesagt, dass die Sessel unverkäuflich wären, aber wir könnten das Bett und die Kommode für viel Geld haben. Ganz kostenlos indes wäre ein Couchtisch, für den hätten sie keinen Platz. Gut, auf Bett und Kommode haben wir dann verzichtet, und ein kostenloser Couchtisch ist ja auch nicht schlecht.
Denkste: Bei der Wohnungsübergabe war die Wohnung ratzekahl leer. Und wie ich auch erst erfuhr, als ich den Übergabetermin vereinbart habe, wollte der Makler an dem Tag auch noch knapp 50 Euro „Übergabegebühr“ haben. Langsam fragte ich mich, ob er in seiner Steuererklärung diese ganzen Einnahmen als Schweigegeld verbucht, denn was er uns nicht gesagt hat, war inzwischen schon umfangreicher als das, was wir über die Wohnung erfahren hatten.
Während ich um die Schlüssel rang, musste ich aber noch den Umzug an sich vorbereiten. Im Allgemeinen zählt dazu, dass man seinen ganzen Kram aus den Schränken räumt, einen Teil wegschmeißt und den Rest in Kartons packt, um noch Jahre nach dem Umzug danach zu suchen. Je knapper die Zeit ist, desto weniger wandert tatsächlich in die Mülltonne, weil man einfach alles greift und in die Kartons schmeißt. Ich hatte nach kurzer Abschätzung meines Hausrats grob überschlagen, dass ich vermutlich um die 50 Bücherkartons und 40 Umzugskartons brauchen würde. Also flugs gut zwei Wochen vorher bestellt, weil das erstens deutlich billiger als im Baumarkt ist und zweitens meiner Faulheit gut entgegen kam. Einige Tage vor dem Umzugstermin überfiel mich aber leichte Panik: Die Kartons waren immer noch nicht da, und die Tracking-Nummern in der per E-Mail verschickten Versandbestätigung waren beim Transportunternehmen unbekannt. Eine Nachfrage ergab: Die Kartons standen (mit vielen anderen Lieferungen) noch beim Händler auf dem Hof, weil der Paketdienst schlicht verpennt hatte, sie mitzunehmen. Aber man hätte ihn informiert, und das wird bestimmt schnell abgeholt.
Zwei Tage später kamen die Bücherkartons, also konnte ich immerhin schon anfangen, mein totes Holz aus den Schränken zu räumen. Von den Umzugskartons keine Spur. Eine weitere Nachfrage später war klar: Der Paketdienst hat bisher nur einen Teil der Sachen auf dem Hof mitgenommen. Ob der Rest noch pünktlich abgeholt wird, steht in den Sternen, aber sie können die Verträge mit dem Paketdienst erst zum Jahresende kündigen und bla-sülz uns bleibt immer noch die Hoffnung und Tschüss. Zwei Tage vor dem Umzugstermin waren die Kartons endlich bei mir, und ich verbrachte die Nächte schlaflos mit dem Verpacken meines bisherigen Lebens.
Nebenbei konnte ich mich mental darauf einstellen, dass das Verbringen der Habseligkeiten von meiner Freundin und mir in unsere neue Wohnung nur wenig entspannter sein würde als der Raub des Bernsteinzimmers im Jahr 1941. Wenige Tage zuvor nämlich hatte man begonnen, die Straße direkt vor unserer neuen Bleibe aufzureißen, und wie üblich wird bei solchen Baustellen nur alle 10 Tage mal gearbeitet, was dafür sorgt, dass selbst eine winzige Arbeit wie das Entfernen eines störenden Kieselsteins aus dem Erdreich erst nach drei Monaten abgeschlossen ist. Der Teufel scheißt auch immer auf den größten Haufen. Die Parkverbotszone, die ich vorausschauend am Umzugstag einrichten ließ, wurde von den Anwohnern natürlich auch noch ignoriert. Leider habe ich von den Übeltätern niemanden erwischt, den ich in dem frisch ausgehobenen Graben vor dem Haus hätte hinrichten können.
Beim Verladen von gefühlt 20 Tonnen Wohnungsfüllmaterial nutzten wir auch den Kellerraum, den wir uns erstritten hatten. Ein alter Herd, ein paar Meerschweinkäfige, ein Fahrrad und etwas anderer Kleinkram fanden ihren Weg unter die Erde. Am Ende des Tages waren wir fix und fertig, hatten Muskeln wie ein Bodybuilder und den größenmäßig dazu passenden Kater darin. Geschafft ließen wir uns auf eine Matratze fallen und ahnten nicht, dass unserer Habe im Keller noch Ungemach drohen würde.
Einige Tage später klingelte ein Nachbar an unserer Tür und fragte uns, ob der Kellerraum 1 unserer wäre. Ja. Aber er hatte den gleichen Kellerraum im Mietvertrag und stritt schon länger mit der Hausverwaltung darum. Verfügungsgewalt hatten wir allerdings alle nicht mehr – der Hausmeister hatte unser Schloss geknackt, unseren Kram in den Fahrradkeller gestellt und eine pampige Botschaft an unseren Nachbarn an die Kellertür geklebt, da er in ihm den Eigentümer des ganzen Krempels vermutete. Unser Nachbar wiederum kannte solche Aktionen schon: Sein Fahrrad war wohl schon seit längerer Zeit die Geisel des Hausmeisters.
Die Beschwerde bei der ahnungslosen Hausverwaltung sorgte dafür, dass uns ein neuer Kellerraum zugewiesen wurde. Garantiert leer, weil der Mieter der dazugehörigen Wohnung ausgezogen war. Nur das Schloss an der Kellertür müsste man aufbrechen, weil es zu aufwendig wäre, den Schlüssel zu beschaffen. So weit waren wir schon: Wir sollten in unseren eigenen Keller einbrechen.
Mit einem Dremel bewaffnet ging es also in den Untergrund, um den besagten Keller zu erobern. Und ja, er war leer. Abgesehen von dem Teil, wo Kram stand. Alte Bierflaschen, ein Wäscheständer, ein bissel Reinigungskram … Ganz klar, da war noch einmal Rücksprache mit der Hausverwaltung angesagt. Aber erst mal mussten wir uns um andere Sachen kümmern.
Zum Beispiel um die Küche. Die Einbauküche bot uns zu wenig Platz, also haben wir weitere Küchenmöbel in die Nahrungsmittelzubereitungsörtlichkeit gestellt und wollten auch zwei Schränke an die Wand hängen, um das Geschirr in angenehmer Griffhöhe zu lagern. Soweit der Plan.
Ich sage nur so viel: Unsere Küchenwände zerbröseln, und Isaac Newton ist ein Arschloch, weil er die Schwerkraft erfunden hat. Immerhin muss man sagen, dass einer der beiden Hängeschränke ein paar Wochen länger an der Wand ausgehalten hat. Scherben sollen ja Glück bringen, aber wirklich viel Schwein hatten wir bisher nicht.
Eine Sache, die wohl bei keinem Umzug wirklich glatt läuft, ist die Versorgung mit Telefon und Internet. Es ist fast, als wäre für Telekommunikationsunternehmen die Einrichtung eines Anschlusses eine kaum zu bewältigende Störung im Betriebsablauf und keine grundlegende Tätigkeit in der Branche. Also kann man es vergessen, dass man nach einem Umzug quasi nahtlos an seine virtuelle Existenz im Cyberspace anknüpfen kann. Es empfiehlt sich deswegen, dass man zur Überbrückung vorher einige Gigabyte an Pornografie herunterlädt, um die Durststrecke zu überwinden. Bei uns sollte ein Techniker die Telefondose anschließen. Beim ersten Termin kam niemand, der zweite Termin war dann erst eine Woche später. Wenn man nebenbei noch Arbeit zu erledigen hat und dafür aufs Internet angewiesen ist, ist eine Woche eine lange Zeit.
Ebenfalls in den Bereich medialer Versorgung fällt der Kabelanschluss fürs Fernsehen. Wir hatten einige Wochen vor dem Umzug beim zuständigen Kabelversorger Tele Columbus einen Anschluss bestellt, aber nach der Eingangsbestätigung nichts mehr gehört. Erst auf eine Nachfrage bekam ich die Erklärung, dass Kabel Deutschland als Signallieferant die Verträge mit Tele Columbus zum Jahresende gekündigt hat und deswegen keine neuen Aufträge angenommen werden. Schön, dass ich das auch mal erfahre. Auch schön, dass ich momentan offenbar nicht mal die Möglichkeit habe, jemandem Geld zu geben, um verlässlich fernsehen zu können. Zum Glück kommt trotzdem ein Signal aus der Dose, aber das kann am 1. Januar ja ganz anders aussehen. Ich sollte noch mehr Pornos herunterladen, so als Beschäftigung, falls ich bald kein Unterschichtenfernsehen mehr gucken kann.
Inzwischen haben wir auch schriftlich, dass uns der neue Keller zugewiesen wurde. Die Hausverwaltung schwor uns auch hoch und heilig, dass der Inhalt des Kellers herrenlos ist und von uns nach Gutdünken genutzt werden dürfe. Der nächste Ausflug mit dem Dremel ergab dennoch eine Überraschung. Das Inventar des Kellers hatte seine Position verändert. Inzwischen war es mir aber egal. Das Schloss haben wir aufgesägt und durch unser eigenes ersetzt, unser Krempel steht jetzt in UNSEREM Keller. Ein Namensschild verdeutlicht unsere Besitzansprüche. Und trotzdem fürchte ich, dass wir nicht zum letzten Mal ein Problem mit dem Keller haben werden.
Was ich nicht auf andere Leute schieben kann, ist eine andere Sache, die typischerweise nach Umzügen auftritt. Man kennt seine Wohnung nicht mehr. In meiner alten Wohnung konnte ich mich quasi blind bewegen, grazil durch die Zimmer tanzen, mit meinen Gedanken ganz bei wunderschöner Musik, philosophischen Fragestellungen oder feuchten Vaginen, ohne mit der Einrichtung zu kollidieren. Das war einmal. Jetzt stapfe ich mit der mir innewohnenden Eleganz einer schwangeren Elefantenkuh durch die Räumlichkeiten, und der kleinste Moment der Unachtsamkeit wird sofort mit üblen Schmerzen bestraft. Und deswegen bin ich vor einigen Wochen gestolpert und habe meinen linken Lieblingsfuß mit voller Wucht gegen den Türrahmen gehauen. Mein kleiner Zeh ist gebrochen, ein kleines Mahnmal an die Nutzlosigkeit meines innerlichen Navigationssystems und ein weiterer Ansatzpunkt, um mich selbst zu demütigen.
Nach meiner langen Leidensgeschichte mögen die Leute doch mal ehrlich sagen: Wenn Barack Obama den Friedensnobelpreis kriegt, weil er nicht George W. Bush ist, dann habe ich den Preis doch erst recht verdient, oder?