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Wortgewalt

Edward Bulwer-Lytton schrieb dereinst die Worte: „Die Feder ist mächtiger als das Schwert.“ Damit wollte er eigentlich sagen, dass Kommunikation effektiver sein kann als Gewalt, die somit durch Worte überwunden und überflüssig gemacht werden könne.

Inzwischen gibt es zu viele Leute, für die Worte das Allerschlimmste sind, was es auf der Welt gibt, deswegen wird heutzutage jedes Mal ein riesiges Fass aufgemacht, sobald jemand was Kontroverses sagt, aber alles, ohne mal eine ordentliche Diskussion über das Thema anzustoßen. Alles wird mit Hassvorwürfen zugekleistert, bis derjenige, der das Kontroverse gesagt hat, als das personifizierte Böse dasteht und es schon ein Affront gegen den Anstand und die Menschlichkeit wäre, auch nur darüber nachzudenken, was er denn eigentlich gesagt hat. Alles ist heutzutage plötzlich Hass. Kleiner geht’s gar nicht mehr.

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Das ist nicht zufällig passiert. So versuchen diverse Interessengruppen, die Wahrnehmung der Realität in der Öffentlichkeit zu verändern, um sich selbst mehr Einfluss zu verschaffen und wiederum die Masse zu mobilisieren, um damit den jeweiligen Gegnern möglichst wenig Einfluss zu lassen.

Die wichtigste Maßnahme dabei ist tatsächlich, Worte, die den Überzeugungen von (vermeintlichen) Minderheiten widersprechen, ernsthaft als Gewaltakte darzustellen und es so lange zu wiederholen und mit herzzerreißend flennenden „Opfern“ zu illustrieren, bis es alle akzeptieren und sich freiwillig zensieren lassen.

Natürlich ist das Unsinn. Etwas zu sagen, was den Überzeugungen eines anderen widerspricht, ist keine Gewalt. Die Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist ebenso wenig Gewalt wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. „Schwule sollten heiraten dürfen“ ist ebenso wenig Gewalt wie „Schwule sollten nicht heiraten dürfen“. Und wenn ich sage, dass Leute, die feministische Tanztherapie studieren und mit Sternchen schreiben, geistig behindert sind, ist das auch keine Gewalt. (Und wer jetzt jammert, weil ich sie als „geistig behindert“ bezeichnet habe, verschwendet wertvolle Atemluft. Und auch das ist keine Gewalt, wenn ich das sage, weil niemand einem Zwang unterworfen wird.)

Ähnliche Neudefinitionen wie bei der Gewalt versucht man auch bei anderen Wörtern. Plötzlich soll es Rassismus sein, eine Religion und ihre Anhänger zu kritisieren, als wenn die Hingabe an eine Ideologie (gerade eine, der ein Streben nach politischer Macht in die Wiege gelegt wurde) ebenso unveränderlich und unbeeinflussbar wäre wie Herkunft, Geburtsort oder Hautfarbe. Auf der anderen Seite wird Rassismus dann so umdefiniert, dass einige aufgrund ihrer Herkunft angeblich gar nicht rassistisch sein können. Auch das ist natürlich Unfug (und an sich schon rassistisch), aber es gibt inzwischen viele, die das tatsächlich glauben. (Diese Menschen sind dumm.)

Bei Sexismus läuft’s dann genauso, was sich bei irgendwelchen Hashtags auf Twitter meistens darin äußert, dass es eine Handvoll Wortmeldungen gibt, die tatsächlich Sexismus belegen, und Tausende Tweets voller Weinerlichkeit, in denen solche Ungeheuerlichkeiten wie „Jemand hat mich am Bahnhof angeguckt und ich fand seinen Blick zu lüstern“ und „Er hat mir ein Kompliment gemacht und nannte mich dann eine Fotze, weil ich ihm an den Kopf geworfen habe, dass ich mich nicht seinetwegen herausgeputzt habe“ bejammert werden. Da machen dann gerne auch mal Politikerinnen mit, zum Beispiel die kompetenzfreie Zone namens Sawsan Chebli, die sich ernsthaft aufregte, weil ein Sprecher bei einer Veranstaltung, zu der sie zu spät kam und ihm deswegen nicht vorgestellt wurde, sie nicht erkannte und erstaunt war, dass so eine junge Frau Staatssekretärin ist. Ich finde ja, wenn man sie kennt, ist es noch erstaunlicher, dass sie so einen Posten hat. Und nein, das ist auch kein Sexismus, ich habe nur eine extreme Abneigung dagegen, dass unfähige Personen gut bezahlte Stellen in der Politik kriegen, nur damit das Gruppenbild bunter und weiblicher wird.

Warum erweitert man die Definitionen von „Gewalt“ und anderen Wörtern so, dass darunter selbst Kleinigkeiten und abweichende Meinungen fallen? Das hat mehrere „Vorteile“.

Zunächst sorgt es für Aufmerksamkeit. „Jemand hat etwas gesagt, was mir nicht gefällt“ bringt ein Schulterzucken hervor, „Jemand hat mich angegriffen!“ sorgt hingegen dafür, dass die Leute einen beachten, weil ein Angriff auf ein Mitglied der Gesellschaft (im herkömmlichen Sinn) eine Gefährdung des gemeinschaftlichen Lebens darstellt. Deswegen hat man ein Interesse daran, seine Lieblingsidee so hinzustellen, als wäre sie größtmöglicher Brutalität ausgesetzt, weil so etwas in der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie belohnt wird.

Zweitens erlaubt es einem, selbst drastischere Methoden einzusetzen, um seine Sichtweise durchzusetzen. Sobald alle glauben, dass einem tatsächlich „Gewalt“ angetan wurde, geht es nicht mehr darum, gegen einen anderen Standpunkt zu argumentieren. Stattdessen wird alles zur Notwehr, und in Notwehr darf man vieles tun, was einem sonst nicht erlaubt ist. Andere davon zu überzeugen, dass man sich ja nur verteidigt (und zwar wirklich „sich“, nicht einfach nur „seine Ansichten“), ist wie ein Persilschein für fast jede radikale Äußerung oder Aktion, die man dann gegen seine Kontrahenten richtet.

Gleichzeitig nimmt es den Druck, sich sachlich mit der Gegenposition auseinandersetzen zu müssen. Schließlich sind die anderen dann Aggressoren, die für Gewalt/Rassismus/Sexismus eintreten, und da muss man nicht argumentieren, dass diese Sichtweisen falsch wären. Das ist selbsterklärend. Dabei hilft es, wenn man sich an „Wer A sagt, muss auch B sagen“ erinnert, das auf „Und wer B sagt, muss auch C sagen“ erweitert und nach einigen Gedankensprüngen schließlich bei „Wer A sagt, meint Z“ landet. Du denkst, dass man Vergewaltigungsvorwürfe genau prüfen sollte, weil da eben auch mal gelogen wird? Zweifellos sympathisierst du mit Vergewaltigern und bist vermutlich selbst ein Frauenschänder. Du glaubst, dass Migration begrenzt werden und kriminelle Ausländer als Gäste nicht mehr willkommen sein sollten? Du mieser Nazi, du planst offenbar schon einen Genozid. Das geht auch auf der anderen Seite. Du glaubst, es sollte eine Vermögenssteuer geben? Du verdammter Kommunist, du möchtest sicher die DDR und den ganzen Ostblock wiederaufbauen und die Romanow-Kinder am besten noch mal erschießen. Du verurteilst, dass Transpersonen auf offener Straße angerotzt werden oder Drohbriefe bekommen? Du dreckiger Gutmensch, du willst offenbar die traditionelle Familie zerstören, um so die Umvolkung Deutschlands zu beschleunigen. Du denkst, Immobilienspekulanten, die trotz Wohnungsnot Häuser verwahrlosen und leer stehen lassen, sollten enteignet werden? Du Sozi-Schwein, guck mal nach Venezuela, wie es den Leuten geht, die unter einer Regierung leben, die das Recht auf Eigentum so mit den Füßen tritt.

Man macht sich die Auseinandersetzung so viel einfacher, indem man den Fokus von den Argumenten nimmt und stattdessen die anderen in Gruppen presst, die aufgrund schlechter Sympathiewerte automatisch unrecht haben (zumindest in den Augen derer, die grob in die eigene Richtung tendieren). Dabei nutzt man aus, dass Menschen üblicherweise ihre bereits bestehenden Ansichten bestätigt sehen wollen und daher auch nur zu gerne darauf verzichten, sich mit den Ansichten von Leuten auseinanderzusetzen, die sie in jenen Lagern wähnen, die sie selbst ablehnen.

Nebenbei entmenschlicht man die Andersdenken, weswegen die Hemmschwelle noch einmal gesenkt wird, wenn man sich schon dazu berufen fühlt, zur Abwehr radikaler Ansichten selbst radikale Mittel einzusetzen. Deswegen haben zum Beispiel viele Linke dann auch kein Problem damit, Steine in AfD-Büros zu schmeißen oder deren Plakatekleber zu verdreschen und sich dabei noch wie die Geschwister Scholl zu fühlen. Und viele andere, die sich selbst nicht die Finger schmutzig machen, äußern mehr oder weniger offen Sympathie für die, die so zur Gewalt greifen. Ist ja Notwehr gegen Faschisten und Menschenrechte haben die anderen ja auch nicht verdient. Und auf der rechten Seite fällt es aus den gleichen Gründen leichter, Asylbewerber zu verprügeln, weil die ja bloß asoziale Schmarotzer sind und dafür sorgen, dass die rechtschaffenden Bürger für ihren Unterhalt ausgebeutet werden.

Das Erweitern der Definitionen von Begriffen und das willkürliche Verknüpfen verschiedener Begriffe hilft auch dabei, den Kreis der Unterstützer zu erweitern und zu kontrollieren. Zunächst sorgt es dafür, dass sich Leute überhaupt angesprochen und verstanden fühlen. Wer gerade an akutem Mimimi leidet, ist natürlich sehr empfänglich für eine Gruppe, die keine übertriebene Heulsusigkeit diagnostiziert und stattdessen vielmehr sagt: „Ja, das ist wirklich ein ernsthaftes Problem, nicht nur von dir selbst, sondern auch von der Gesellschaft. Wir stehen für dich ein, denn du bist ein Opfer und verdienst Beistand.“

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