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Foulspiel

Wieder einmal regiert in Europa dank der EM 2008 König Fußball. Egal ob ein EU-Referendum scheitert oder der Tod der Postämter angekündigt wird, wichtiger ist in den Nachrichten vielmehr, dass die Schweizer gegen die Türkei verloren haben und nach Hause fahren… zu Hause bleiben können, aber nicht mehr aufs Spielfeld dürfen.

Nun haben selbst für mich als Sportmuffel internationale Fußballturniere durchaus ihren Reiz, wobei ich aber die Fixierung in den Medien eher mit Verwunderung zur Kenntnis nehme. Eher amüsant sind dabei aber die aufpeitschenden Hassbotschaften, die diverse Zeitungen vor Länderspielen mit historischen Gegnern veröffentlichen. Vor einigen Jahren gab es noch regelmäßige Empörung über die Schlagzeilen der britischen Boulevardpresse, wenn es gegen die Teutonen ging. Heute sind die Engländer aber scheiße, weswegen wir kaum noch aufeinander treffen. Da Deutschland sich aber in seiner Geschichte nicht viele Freunde gemacht hat, konnten diesmal die Polen in die Bresche springen und erweckten den Eindruck, als würde es in dem Spiel um Schlesien gehen. Ich finde diese Entgleisungen aber höchst vergnüglich und empfinde sie inzwischen als wichtigen Teil der Turniere. Immerhin ist es doch ganz schön, wenn man die Abneigung gegen seine Nachbarn sportlich austrägt und nicht mit Maschinengewehren.

Bei aller Freude über die Art der Auseinandersetzung muss man sich aber doch fragen, wie sportlich der Fußball überhaupt noch ist. Momentan läuft das Spiel der Niederlande gegen Frankreich. In den ersten vier Minuten gab es mindestens vier Fouls, im weiteren Verlauf hatte man das Gefühl, die Spieler würden mehr über den Rasen rollen als laufen. Das liegt nur teilweise an einer stark körperbetonten Spielweise, bei der man wenig Skrupel hat, dem Gegner mittels Blutgrätsche den Ball nebst Zeugungsfähigkeit zu entreißen. Noch viel mehr haben die Spieler offenbar das Verlangen, sich für einen Oscar als bester Todgeweihter zu qualifizieren, indem man sich bei jedem Lufthauch auf den Boden schmeißt. Lediglich die Ausführung lässt zu wünschen übrig. Egal was dem angeblich gefoulten Spieler geschehen ist – mit dem Ellenbogen angerempelt, auf den Fuß gelatscht, in den Rücken geschlagen – meistens rollt er mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Boden und hält sich das Schienbein. Falls dann der ersehnte Pfiff des Schiedsrichters ertönt, legt der Spieler noch eine Kohle auf, flennt herum und weigert sich beleidigt, den bösen Gegenspieler auch nur anzuschauen, der sich entschuldigen will für die vermeintliche Übeltat. Vermutlich wird man da von der Hoffnung getrieben, der Schiri möge sich zu einer roten Karte entschließen, wenn man nur überzeugend genug darstellt, dass man nicht nur körperlich, sondern auch seelisch schwer verletzt wurde und das Vertrauen in das Gute auf der Welt verloren hat. Der neutrale Beobachter guckt dagegen leicht angeekelt und denkt sich nur: "Steh auf, du jämmerliches Weichei, du blamierst dich, deine Familie, deine Mannschaft, dein Land und die menschliche Rasse an sich."

Man kommt nicht umhin, sich an frühere Spieler zu erinnern, die aus einem ganz anderen Holz geschnitzt waren. Der Torwart Bert Trautmann brach sich 1956 im Spiel um den englischen FA Cup das Genick und spielte trotzdem bis zum Ende mit. Friedel Rausch wurde 1969 bei einem Spiel zwischen Schalke und Dortmund von einem Schäferhund in den Hintern gebissen und spielte weiter, nachdem er eine Tetanusspritze bekam. Kein Wunder, dass Fußball damals noch nicht so temporeich war. Die hatten Eier aus Eisen, damit kann man nicht schnell laufen. Aber man steckt was weg.

Auch ohne die alten Fußballhelden erscheinen einem die heutigen Spieler jedoch als ungeheuer wehleidig. An den meisten deutschen Schulen wird eine gewisse Zeit des Sportunterrichts auch mal mit dem Spielen unseres Nationalsportes verbracht (zumindest bei den Jungs). Man spielt aber nicht auf dem schönen weichen Rasen wie die Profis. Die Schüler spielen auf Schotter. Und weil man als Schüler nicht für Millionen Euro spielt, sondern um die Ehre, geht's dabei auch hart auf hart. Nicht selten rutscht ein Knabe nach einem verlorenen Zweikampf einige Meter auf den Knien über den Platz, schüttelt sich kurz und spielt dann weiter, obwohl in seinen blutigen Kackstelzen genug Keime stecken, um eine mittlere Kleinstadt zu verseuchen, und mehr Steinchen als in 20 Metern Gleisbett. Warum? Weil sowieso keiner da ist, der ihn bemitleiden und verarzten würde, die einzige Genugtuung, die einem dann noch bleibt, ist selbst einen Gegner blutig umzusäbeln und dann den Ball ins Tor zu semmeln.

Eigentlich will ich aber nicht, dass der Fußballsport härter wird und vorgetäuschte Fouls von echten Blutgrätschen ersetzt werden. Ich möchte mehr echte Spielqualität, mehr Taktik, bessere Spielzüge sehen. Die beste, nicht die härteste oder schauspielerisch begnadetste Mannschaft soll gewinnen. Und hoffentlich nicht Holland.

So wie ich meine Hoffnungen und Vorhersagen kenne, wird Holland am Ende doch Europameister. Allerdings haben die bisher – anders als die anderen Favoriten – keine Grütze zusammengespielt, also sei es ihnen gegönnt. Aber das bleibt unter uns.

Anmerkung vom 21. Juni 08: Okay, Holland wird's nicht, die Russen haben es rausgekegelt. Jippie.

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