Fahnenappell
Einer Laune der Natur hab ich es zu verdanken, dass ich Deutscher bin. Und aus diesem Grund besitze ich einen besonderen Gendefekt. Denn sobald ein Deutscher ein nationales Symbol berührt, erwacht das Tier in ihm. Er dringt mit seinen Landsleuten in benachbarte Länder ein, frisst kleine Kinder, zündet Häuser an und vergast wahlweise Juden, Zahnärzte oder Bausparer. Er stürzt die Erde in neue Weltkriege und wäscht sich nach dem Pinkeln nicht die Hände.
Natürlich ist das totaler Schwachsinn. Aber offenbar ist es nicht schwachsinnig genug, um von einigen Menschen geglaubt zu werden, die sich während der WM lautstark zu Wort meldeten und das Schwenken der schwarzrotgoldenen Flagge als Vorzeichen für unseren nächsten Völkermord ansahen.
Drei Legislaturperioden mit
durchschlagender Wirkung
Schuld an dieser Furcht ist natürlich eine 12jährige Periode in der langen deutschen Geschichte, in der die Deutschen (und im Folgenden auch begeisterte Österreicher und vereinzelte Angehörige anderer Nationalitäten) sich ihren Nachbarn gegenüber ziemlich mies verhalten haben und mindestens passiv, zu oft aber auch aktiv daran mitwirkten, Menschen organisiert zu inhaftieren und umzubringen. War alles nicht schön und sollte sich nicht wiederholen, aber heutzutage haben wir Deutschen mit dieser Vergangenheit genauso wenig zu tun wie die heutigen Engländer, Franzosen, Amerikaner oder Russen.
Damit möchte ich nicht sagen, dass wir heutzutage nicht zu irrationalen Handlungen fähig sind. Ich entstamme zum Beispiel einer Generation, in der zeitweise über 50% der Teenager mit mindestens einem ehemaligen Moderator des amerikanischen Mickey-Mouse-Clubs Geschlechtsverkehr haben wollten. Dennoch halte ich die Gefahr, dass wir durch Schwarz, Rot und Gold dazu verführt werden, uns für Übermenschen zu halten und unsere europäischen Nachbarn anzugreifen, doch für recht überschaubar. Tatsächlich ist gerade diese Flagge gar nicht dafür geeignet, steht sie doch eher für die demokratischsten Momente der deutschen Geschichte. Und außerdem fehlt das Weiß in der Flagge.
Das ist nämlich meine heraldische Theorie der internationalen Aggression. Ein Land kann einem anderen nur dann den Krieg erklären, wenn in der Flagge weiß vorkommt. Das zeigt die europäische Geschichte sehr eindrücklich. Als Dänemark 1864 dem Deutschen Bund den Krieg erklärte, besaß das Land bereits die bekannte rot-weiße Flagge. Der deutsch-deutsche Krieg von 1866 wiederum war ein Krieg zwischen Preußen mit der schwarz-weißen Flagge und Österreich. Die französische Flagge ist bekanntlich blau-weiß-rot, und unter dieser Flagge erklärte das Land 1870 Preußen den Krieg. 1914 standen sich die europäischen Großmächte Großbritannien (Union Jack aus blau, weiß und rot), Frankreich (blau-weiß-rot), Deutschland (schwarz-weiß-rot), Österreich (Kriegsflagge rot-weiß-rot) und Russland (weiß-blau-rot) gegenüber und waren alle recht glücklich über den Beginn des Ersten Weltkrieges. In der außenpolitisch recht friedlichen Weimarer Republik benutzte man die alte Schwarzrotgoldene Fahne, die 1848 schon einmal zur Nationalflagge Deutschlands bestimmt wurde, als grad niemand so richtig hinguckte, der der Nationalversammlung erklären konnte, dass es noch gar keinen deutschen Staat gab.
Die Nazis änderten die Nationalflagge wieder auf schwarz-weiß-rot (der erste Schritt zu den Kriegsvorbereitungen), schwenkten zwei Jahre später aber auf ihre rote Flagge mit schwarzem Hakenkreuz im weißen Kreis um. Unter dieser Flagge griff man dann Polen, Frankreich, England und diverse andere Länder an. Der Verbündete Italien (grün-weiß-rot) griff Griechenland und britische Truppen in Libyen an. Lediglich ein Land in Europa war die Ausnahme dieser Flaggenkriegsregel: Die Sowjetunion griff Finnland auch ohne eine Nationalflagge mit weißer Farbe an (die sowjetische Seekriegsflagge hatte aber weiße Bereiche). Die Sowjetunion existiert allerdings nicht mehr, somit darf man nun vollumfänglich davon ausgehen, dass ein Krieg in Europa inzwischen nur noch von einem Land angefangen werden kann, in dessen Flagge weiß vorkommt. Wahrscheinlich würde die Bundeswehr von den verteidigenden Kräften ausgelacht werden, wenn sie mit unserer schwarzrotgoldenen Trikolore einmarschieren wollte. Ich denke, das sollte unseren Nachbarn und den Nörglern im eigenen Volk die Sicherheit geben, dass Deutschland ein überaus friedliches und umgängliches Land ist. Solange wir unsere Flagge nicht wieder ändern, versteht sich.
In anderen Ländern wurde die würdelose Selbstgeißelung der Deutschen sowieso belächelt - schließlich ist in Frankreich, England, Polen und fast überall woanders Patriotismus eine Selbstverständlichkeit, obwohl es bei keinem Volk der Erde an dunklen Flecken in der Geschichte mangeln dürfte. Und auch in den sozialistischen Staaten wie der Sowjetunion, Rumänien oder gar der DDR war das Fahnenschwenken eine weit verbreitete (und nicht nur von oben aufgedrückte) Tätigkeit, da man sich durchaus bewusst war, dass die Internationale unbedingt Nationen braucht, weil ansonsten nur "Inter" übrig bliebe, und das singt sich schließlich nicht.
Am Patriotismus wird oft kritisiert, er würde die eigene Nation über andere stellen und somit direkt Rassismus ausdrücken. Das ist allerdings kein Patriotismus, sondern Nationalismus. Doch es gibt den echten Patriotismus, der ein Vertrauen zum Ausdruck bringt, dass das eigene Land etwas schaffen kann. Preußen, welches von Napoleon besiegt wurde, rappelte sich auf, weil die Bürger ganz patriotisch ihr Land wieder nach vorne bringen wollten. Die besten Soldaten in den Befreiungskriegen waren keine Söldner, die nur für Taler kämpften, sie kämpften für ihr Land. Und sie dachten dabei sicherlich dennoch nicht, dass die Franzosen Untermenschen wären. Darüber hinaus ist es nicht nur so, dass große Leistungen wie die Mondlandung der Amerikaner oder die Errichtung zahlreicher Weltwunder auch ein Ausdruck der nationalen Gefühle der Menschen waren, umgekehrt sind derartige Erfolgserlebnisse auch eine notwendige seelische Streicheleinheit für die Leute. Auch wenn ein einfacher Amerikaner nicht selbst auf dem Mond spazierte - er war stolz auf Neil Armstrong. Auch wenn der Normalbürger Athens nichts von der pompösen Athene-Statue auf der Akropolis hatte - er war stolz darauf, Bürger einer Stadt zu sein, die so ein Wahrzeichen besaß. Und der Deutsche, der seit der Schulzeit keinen Ball mehr getreten hat, ist stolz auf die Fußballnationalmannschaft, wenn sie ein Spiel oder gar die Weltmeisterschaft gewinnt.
Nationale Gefühle sind daher nichts Falsches. Die Menschen sind nun mal nicht gleich, sondern nur gleich viel wert. Die deutsche Mentalität ist (trotz regionaler Unterschiede) ganz anders als die italienische Mentalität. Oder die französische. In der EU-Politik sind sich unsere Partnerländer nicht zu fein, ihre nationalen Bedürfnisse zu fördern. Und um dabei nicht über den Tisch gezogen zu werden, müssen nicht nur wir deutschen Normalbürger, sondern auch unsere politischen Vertreter sich der nationalen Verantwortung besinnen - schließlich haben wir sie gewählt, um unsere Interessen zu vertreten und nicht die der Finnen oder Griechen. Und seien wir mal ehrlich: Bei so einer beschissenen Regierung, wie wir sie im Moment haben, hat unser Land jeden Beistand verdient, den es kriegen kann.
Mein Entwurf für
das nächste Trikotlogo
Dass wir wieder eine positivere Haltung zu unserer Nation und ihren Symbolen entwickeln sollten, hat während der WM zum Glück die Mehrheit des Landes mitbekommen. Andere jedoch bemühten sich nach Leibeskräften, den Menschen ihre Begeisterung madig zu machen. So legte die Lehrergewerkschaft Hessen ein altes Pamphlet aus dem Jahr 1989 wieder auf, in dem das Deutschlandlied als Ausdruck einer imperialistischen Unterwerfungslust dargestellt wird. Die mangelhaften Geschichtskenntnisse, die diese Fehldeutung der ersten Strophe erst möglich machten, sind dabei gerade für eine Lehrergewerkschaft mehr als peinlich und wohl nur damit zu erklären, dass Lehramtsstudenten der 68er-Ära die Zeit lieber mit freier Liebe verbrachten.
Einige Nachwuchshippies aus dem Landesjugendvorstand der PDS Sachsen hingegen boten für jede abgegebene Deutschlandfahne ein PDS-T-Shirt an. Clevererweise ohne Besitznachweis, so dass nicht wenige der Winkelemente geklaut gewesen sein dürften. Mit dieser Idee zogen die Aktivisten allerdings nicht nur den Zorn der Fußballdeutschen auf sich, sondern ernteten auch in den eigenen Reihen geradezu revolutionäre Missbilligung.
Meinetwegen müssen wir nicht dauernd mit Fähnchen am Auto herumfahren oder bei jeder Gelegenheit die Nationalhymne singen (so schön ist die auch nicht). Aber wir dürfen nicht zulassen, dass wir uns für die Fähnchen oder das Singen später schämen müssen. Und wir dürfen auch nicht zulassen, dass wir unsere kulturellen Errungenschaften und die Schönheit und Vielfalt unserer Sprache aufgeben, nur weil uns das als Nationalismus ausgelegt werden könnte. Und wir dürfen nicht zulassen, dass die Wertschätzung für unser Land nur mit einer bestimmten politischen Richtung assoziiert wird. Denn das wäre nur ein Sieg für die Nazis. Ich lasse mir meinen Patriotismus jedenfalls nicht von ein paar rechten Spinnern vermiesen.
Liebe Leser aus Österreich, der Schweiz und allen anderen Ländern: Diese Kolumne ist natürlich aus der Sicht eines Deutschen geschrieben und bezieht sich primär auf den deutschen Umgang mit den eigenen nationalen Symbolen. Aber natürlich dürft ihr auch patriotisch sein. Ihr solltet es sogar sein. Schon weil es das ganze rechtsradikale Pack ärgert.