Wirtschaftssabotage durch EU-Bürokratie
Man mag sich Sorgen über Datenmissbrauch machen, insbesondere bei den großen Internetkonzernen und eventuellem Zugriff auf persönliche Daten durch feindliche Regierungen. Aber das rechtfertigt doch nicht, dass man Lehrern verbietet, Schulzeugnisse auf ihrem Privatrechner zu schreiben, oder die Verteilung von kostenlosem Gebäck an über 80-Jährige unmöglich macht.
Man mag sich Sorgen um die Umwelt und die Menschenrechte in Ländern der Dritten Welt machen. Aber das rechtfertigt doch nicht, dass man Nussknackerschnitzern im Erzgebirge eine Verantwortung für politische und gesellschaftliche Defizite in diesen Ländern auferlegt, obwohl sie dort nicht mal ihr Holz herkriegen.
Man mag sich Sorgen über unsichere Elektronik aus China machen, die über AliExpress, Temu und Wish nach Europa kommen. Aber das rechtfertigt doch nicht, für jede Postkarte, jeden Radiergummi und jede Tischdecke eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu verlangen. Wenn ich wieder ein Buch rausbringe, was soll ich bei der Risikoanalyse schreiben? Man kann sich am Papier schneiden? Wenn man’s frisst, kriegt man Verstopfung? Und all der Blödsinn nur, weil die EU nicht will, dass unsichere Steckdosenleisten nach Europa kommen, und zu dusslig ist, ihre Gesetze entsprechend zu schreiben?
Es ist sowieso schon nicht einfach. Ich habe schon öfter darüber geklagt, dass ich für winzige Mengen Pappe, in der ich meine Bücher an Leser verschicke, eigentlich zu hohe Entsorgungsgebühren zahlen muss (weil die Entsorger eher in Tonnen rechnen als in Gramm und deswegen immer der Mindestpreis fällig wird). Aber ich bin in Deutschland dazu verpflichtet, mich zu registrieren und sowohl an den Entsorger als auch an eine öffentliche Stelle (namens LUCID) die jeweiligen Mengen zu melden und den Entsorger dafür zu bezahlen. Dabei ist es natürlich Quatsch, denn ich schmeiße die Versandverpackungen ja nicht weg, das macht der Empfänger, und ob der Entsorger, den ich bezahle, diese Verpackung je zu Gesicht bekommt, ist gar nicht sicher. Und früher hat man für Altpapier und Altpappe noch vom Entsorger Geld bekommen, jetzt muss man dafür zahlen, dass der das abnimmt und an Papierfabriken verkauft. Das ist, als wenn man als Nutte noch dafür zahlen soll, dass man dem dicken Greis die Nudel lutscht. Man sieht, ich habe starke Gefühle der Unzufriedenheit, was das angeht.
Aber Deutschland ist natürlich nicht das einzige Land mit so einem System. Angewiesen durch eine EU-Richtlinie haben alle EU-Länder ähnliche Systeme eingeführt. Und die meisten haben keine Bagatellgrenzen, auch nicht für ausländische Versender, die was an Kunden in diesen Ländern schicken möchten. Nichts sagt „gemeinsamer EU-Binnenmarkt“ so sehr wie „Ich muss mich individuell in 27 verschiedenen Ländern anmelden, dort jeweils einzeln Gebühren bezahlen und den bürokratischen Meldeaufwand leisten, wenn ich dort was verkaufen will.“ Lohnt sich für mich nicht, daher können gedruckte Bücher in meinem Buchshop inzwischen nicht mehr in die meisten EU-Länder verschickt werden.
Die Europäische Union hat gerade ein Image-Problem und steht politisch unter Druck, gerade auch weil in vielen EU-Mitgliedsländern die politische Stimmung derzeit eher nach rechts rutscht und damit auch EU-Kritiker einen höheren Einfluss erlangen. Eigentlich wäre jetzt die Zeit für die EU zu zeigen, dass sie einen echten Mehrwert darstellt. Und punktuell schafft sie das auch: einheitliche Ladebuchsen für Elektrogeräte, die weitgehende Abschaffung von Roaming-Gebühren, die EU-Fluggastrechte. Aber gefühlt gibt’s für jeden Schritt vorwärts zwei Schritte zurück, weil sich Politiker offenbar nicht von der Denkweise freimachen können, dass jedes Problem mit ein paar Formularen mehr gelöst werden könnte, und je mehr Leute diese Formulare ausfüllen, desto besser. Das Johannesevangelium beginnt mit „Am Anfang war das Wort“, aber für EU-Politiker ist das Wort nicht nur der Anfang, sondern auch die Mitte und das Ende, und das Wort soll gefälligst niedergeschrieben sein und vor jedem Furz an offizielle Stellen gemeldet werden, bevor man auch nur wagt, irgendwas zu tun.
Vielleicht glaubt man, wenn man nur Unternehmen diese Last aufbürdet, dann merkt der normale EU-Bürger nichts davon. Aber wenn’s der Wirtschaft schadet, und zwar gerade auch den kleinen und mittleren Unternehmen, dann merken es irgendwann alle. Wenn jedes Mitglied in der EU-Kommission oder im EU-Parlament von heute auf morgen tot umfallen würde, würde das Leben ziemlich normal weitergehen. Würden aber reihenweise Unternehmen sterben, von denen wir all das kriegen, was wir jeden Tag benutzen, würden wir das sehr schmerzhaft merken.
Ich bin der Meinung, dass Politik nicht viel tun kann, um die Wirtschaft erfolgreich zu machen. Aber Politik kann sehr viel anrichten, um die Wirtschaft zu ruinieren. (Gruß an die Bundesregierung.) Es ist eine Aufgabe der Politik in den Ländern und der EU selbst, das nicht zu tun. Natürlich muss man immer gesellschaftliche und ökonomische Interessen abwägen, wenn diese miteinander in Konflikt stehen, aber am Ende muss immer eine gewisse Balance da sein, denn ohne eine erfolgreiche Wirtschaft fehlen schlicht die Mittel, um irgendwas anderes machen zu können. Wenn die EU-Institutionen sich um die Rechte der Arbeiter und Angestellten in der EU kümmern möchten (was sie auch tun sollten!), resultiert daraus natürlich eine gewisse Belastung der Unternehmen. Das ist in meinen Augen auch in Ordnung. Aber im Gegenzug ist das Mindeste, was die EU-Institutionen tun könnten, um das wieder etwas auszugleichen, der simple Versuch, die Unternehmen nicht mit unsinniger Bürokratie zu ersticken.
Aber Politiker sind offenbar oft so besoffen von ihrer Weltverbesserer-Mentalität (und offenbar dem Glauben, dass jeder Unternehmer Ebenezer Scrooge ist), dass sie die negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen gar nicht wahrnehmen wollen oder erkennen können, dass die Ziele, die sie erreichen wollen, mit ihren Mitteln gar nicht zu erreichen sind. Vielleicht kann man sich als Abgeordneter mit üppiger Diät auch gar nicht vorstellen, dass es in Europa viele Unternehmer gibt, die gerade so über die Runden kommen und nicht einfach jemanden bezahlen können, der ihnen die zusätzliche Arbeit abnimmt. (Und wenn ich mir anschaue, wie viele Unternehmer gerade händeringend einen neuen Steuerberater suchen, aber keinen finden, der neue Kunden aufnimmt, so scheint’s selbst mit Geld nicht leicht zu sein, auf Anhieb Leute zu finden, die einem die Arbeit abnehmen, die neue gesetzliche Regelungen mit sich bringen.)
Eine schnelle Abhilfe scheint es nicht zu geben. Wenn mal Gesetze verabschiedet wurden, sind sie schwieriger loszuwerden als eine Termitenplage, und das gilt erst recht auf EU-Ebene. Aber ich hoffe, dass die eigentlich immer vorgesehenen Evaluierungen wider Erwarten dann doch mal die Erkenntnis bei den Entscheidungsträgern reifen lassen: „Mensch, das ist alles nur Grütze, was da beschlossen wurde, und wir sollten das schleunigst wieder wegschmeißen.“ Aber das würde natürlich bedingen, dass die Leute, die diese Auswertungen machen, nicht selbst so behämmert sind wie die, die diese Gesetze erst durchgedrückt haben. Bleibt die Frage: Gibt es dort solche Leute noch?