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Klopfers Rückblick auf das Fernsehjahr 2008

Das Jahr 2008 liegt in seinen letzten Zügen, und selbst nach optimistischsten Prognosen bleibt ihm nur noch wenig Zeit, bis es von 2009 abgelöst wird. Zum Abschied werfen wir gemeinsam noch einen Blick auf das Fernsehprogramm der letzten Monate, mit seinen Skandalen, Kontroversen und auch dem Abfall, den uns die Programmchefs ganz unverfroren präsentierten.

Das Jahr begann schon höchst skandalös. Big-Brother-Kandidat Adrian witzelte, dass er beim Sex Einjährige bevorzugen würde, weil die noch keine Zähne hätten, und musste dafür den Container schon eine knappe Woche nach dem Start der achten Staffel der Endemol-Produktion verlassen. Für mich eine unverständliche Konsequenz – die schlimmere Strafe wäre wohl eher gewesen, ihn dazu zu zwingen, die gesamte Staffel im Big-Brother-Haus abzusitzen.

Auch beim Schwestersender RTL hing der Haussegen schief: Während bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ wider Erwarten nicht Michaela Schaffrath, sondern Tänzerin Isabel Edvardsson für die Erotik sorgte, provozierte die BILD-Zeitung den Rausschmiss des polnischstämmigen DJ Tomekk, der bei der Abfahrt ins Dschungelcamp im Scherz den Hitlergruß zeigte und die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmte. Während Sonja und Dirk die ganze Sache irgendwie albern fanden und dies bei ihren Moderationen deutlich zeigten, war man bei RTL natürlich empört und nannte das Verhalten von Tomekk „nicht tolerierbar“. Ich bezweifle trotzdem, dass man Tomekk bei den Freien Kameradschaften deswegen hochleben ließ, weswegen ich die Reaktion von RTL wesentlich peinlicher fand als die kleine Dussligkeit von Tomekk.

In dieser Hinsicht bekleckerte sich aber auch ProSieben nicht mit Ruhm. Juliane Ziegler, Anruf-Animateurin bei „Night Loft“, wollte einen Anrufer am frühen Morgen mit dem Spruch „Arbeit macht frei“ zu seinem Tagwerk motivieren. Trotz eines nur wenige Minuten später durchgeführten Kotaus machte diese Arbeit Juliane Ziegler dann wirklich frei – sie verlor ihren Job. Während sie wegen etwas gefeuert wurde, bei dem man sich den Skandal schon selbst im Kopf zusammenbasteln muss, war man wenige Monate vorher beim Schwestersender 9live wesentlich toleranter. Als im Oktober 2007 Max Schradin einen Moderator der Call-In-Konkurrenz Money Express als pädophil bezeichnete, gab es für ihn nur ein paar Wochen Urlaub. Die Moral: Konkrete Verleumdungen sind nicht so schlimm wie ein paar Sprüche, die ein paar Mimosen eher reflexartig mit Sympathiebekundungen für Nazis verwechseln.

Dass RTL die mit großem Tamtam angekündigte Serie „Die Anwälte“ nach nur einer Folge absetzte, diente im kommenden Jahr nicht nur als Musterbeispiel für den Misserfolg deutscher Serien einerseits und der gnadenlosen Absetzungspolitik der Privatsender andererseits, sondern sollte sich viel später auch noch als Omen für die ARD herausstellen, die mit der gleichen Serie ebenfalls baden ging.

In den USA machte sich Erleichterung breit, weil der Autorenstreik beendet wurde, in Deutschland kratzten sich die Programmchefs vermutlich nur die Köpfe und fragten verwundert: „Autoren? Sind das die Praktikanten, die in den Skripten für die Nachmittagssendungen wie ‚Niedrig und Kuhnt’ die Namen austauschen? Warum sollen die so wichtig sein?“

Das Erste entwickelte mal wieder tiefste Sorgenfalten ob seines Nachmittagsprogramms, denn Bruce Darnell entpuppte sich wider Erwarten nicht als Zuschauermagnet der jungen Zielgruppe. Wer konnte denn auch ahnen, dass niemand einem tuntigen Laufstegtrainer dabei zusehen will, wie er radebrechend 50-Jährige aufmöbelt?

Bei RTL hingegen gab es mal wieder Ärger mit dem Jugendschutz, weil beim DSDS-Casting ein Bengel gezeigt wurde, der so schlecht sang, dass sein eigener Kreislauf Gnade mit der Jury zeigte und die Notbremse zog. Dass der bemerkenswert talentlose Knabe zwischen seinen Hyperventilationsübungen öfter fragte, ob er nicht doch weiterkommen könnte, ließ man dummerweise in der Sendung weg, weswegen die Reaktionen von Bohlen und Co. dann doch etwas hartherzig wirkten. Im Februar gelobte RTL dann wieder Besserung und schwor, die gröbsten Entgleisungen mit Schnitten und Zensurpiepsern zu überdecken. Das konnte der Sender dann aber auch ohne große Schmerzen durchführen, denn die Castings waren mittlerweile sowieso gelaufen, die Zensurmaßnahmen mussten also nur bei den Zusammenfassungen vorgenommen werden.

Der Februar sah auch das vorläufige Ende der Suche nach dem nächsten Löffelbieger. „The Next Uri Geller“ wurde der Schweizer Vincent Raven. Der Mann war zwar ein lausiger Zauberer, aber die Zuschauer wollten vermutlich verhindern, dass der Rabenvater bei einem Abrutsch in die Mittellosigkeit seinen gefiederten Kumpanen in den Herd schiebt.

Die Absetzungswelle erreichte im Februar einen kleinen Höhepunkt: Neben „Doctor Who“, „Herzog“ und „Staatsanwalt Posch“ bekamen auch zwei Serien des Fun-Freitags von Sat.1 ihren Totenschein. An „Alles typisch“ und „3 ein Viertel“ erinnert sich aber heutzutage sowieso kein Schwein mehr, womit die Relevanz dieser Sendungen für den Humorstandort Deutschland am besten beschrieben ist.

RTLII würde wohl trotz „Mythbusters“ und „Welt der Wunder“ niemand als Inbegriff des deutschen Bildungsfernsehens ansehen, und dennoch lud man im März Historiker und Holocaust-Überlebende ein, um über das Dritte Reich zu diskutieren – ausgerechnet zu „Big Brother“. Das geschah allerdings nicht ganz freiwillig. Zwei Monate später als andere Akteure der Fernsehlandschaft erforschte Kandidatin Rebecca nämlich ihre Beziehung zum Nationalsozialismus und schmiss sich mit einem dummen „Sieg Heil!“ quasi selbst aus dem Haus.

Die anderen Privatsender steckten indes Kritik für ihr Osterprogramm ein. Einige Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz vermochten in Filmen wie „Stirb langsam“, „House of Wax“ oder „Alien vs. Predator“ keine Osterbotschaft erkennen und protestierten gegen die Sender, welche offenbar „Religion als Privatsache“ ansehen würden, die „bei ihnen nicht vorkommen muss“, was wiederum ein „Angriff auf die öffentliche Ordnung“ wäre. Man fragt sich, wie groß der Balken in den Augen der Bischöfe sein muss, die offenbar Länder ohne christliche Tradition (wie etwa Japan) als Heimstätten der Anarchie ansehen.

Im Ersten wurde ein Elend vom anderen abgelöst. Der Nachfolger auf dem „Bruce“-Sendeplatz, die Kuppelshow „Ich weiß, wer gut für dich ist!“, sollte einen Single eine Woche lang mit vier potenziellen Partnern bekanntmachen, von denen einer dann am Freitag als Sieger ausgewählt werden musste. Die Sendung lief allerdings noch miserabler als „Bruce“ und sorgte daher für keine Entspannung auf dem Problemsendeplatz am Nachmittag.

ProSieben hingegen versuchte mal wieder, witzig zu sein, und sendete „Spoons“, eine Sketch-Comedy nach dem Vorbild der gleichnamigen Sendung aus Großbritannien. Der Sender hatte so großes Vertrauen in das Potenzial der Show, dass man die acht Folgen nach dem Dreh zwei Jahre lang im Archiv reifen ließ und sie dann möglichst schnell in Doppelfolgen versendete.

Während sich Fans von „Doctor Who“ über die Rückkehr des Timelords auf ProSieben freuen konnten, war der Monat für Dirk Bach eher ein Wechselbad der Gefühle. Seine Spielshow „Power of Ten“ startete auf Vox, fiel beim Publikum durch und erlebte noch vor Ablauf des Monats die Mitteilung, dass sie ab Mitte Mai nicht mehr im Vox-Programm erwünscht sei und doch bitte unauffällig verduften solle.

Schockreich war der April auch für „Polylux“ vom RBB. So vermeldete das „Kommando Tito von Hardenberg“, dass man der Redaktion ein gefälschtes Interview mit einem angeblichen Speed-Konsumenten (die Droge, nicht der Film) untergeschoben habe. Das muss ein ziemlicher Schlag für diejenigen gewesen sein, die tatsächlich die Illusion hatten, dass bei „Polylux“ journalistisch gearbeitet wird. Da die Sendung selbst jegliche journalistische Sorgfalt durch die Machart ihrer Beiträge aktiv verneint, glaube ich aber, dass diese Leute „Polylux“ nie wirklich gesehen haben.

Am 25. April startete wieder ein Comebackversuch von Margarethe Schreinemakers, die ihre Call-In-Show in ihrem eigenen Dachboden produzierte und von 9live senden ließ. „Schreinemakers 01805-100 232“ sollte aber den Anrufern nicht nur on air Lebenshilfe geben. Ein dazugehöriges Internetportal spornte die Zuschauer dazu an, persönliche Videos hochzuladen, um auch so auf ihre Probleme eingehen zu können. Das Problem von Schreinemakers selbst bestand allerdings darin, dass die Einschaltquoten sogar für 9live-Maßstäbe unterirdisch waren, weswegen wenige Monate später der Stecker gezogen wurde.

Der Mai war der Monat der Entscheidungen. Es endeten die Castingshows „Ich Tarzan, Du Jane“ und „Bully sucht die starken Männer“, und auch bei „Deutschland sucht den Superstar“ durfte im Mai Thomas Godoj ohne den geringsten Anflug von Spannung oder Überraschung den Titel abstauben, nachdem wieder mal kräftig auf die Tränendrüse gedrückt wurde und kaum eine Sendung verging, in der man nicht auf die schlimmen Schicksalsschläge hinwies, die Godoj erleiden musste, bevor er natürlich nur aufgrund seines Gesangstalents im Finale von DSDS landete.

Der Eurovision Song Contest fand ebenfalls im Mai ein für Deutschland unrühmliches Ende, bei dem die No Angels sich die rote Laterne mit den punktgleichen Beiträgen aus Polen und Großbritannien teilen durften. Das Wundenlecken danach bestand wie üblich im Geflenne über die angeblichen Punkteschieber in Osteuropa, geschmollten Boykottdrohungen für zukünftige Veranstaltungen und der nur durch schweren Drogenmissbrauch erklärbaren Illusion, die anderen deutschen Beiträge im Vorentscheid hätten bessere Chancen gehabt. Als einer der größten Beitragszahler für Eurovision kann man aber schließlich auch mehr verlangen als einen fairen Wettbewerb, da verdient man einen Spitzenplatz, verdammt noch mal! Und „Dabei sein ist alles“ zählt halt auch nur für die anderen, die man mit diesem Spruch tröstet, während man sich selbst im Triumph sonnt. Aber im nächsten Jahr in Russland wird alles anders, versprochen.

Ein bis auf wenige Exemplare ausgestorbenes Genre der Fernsehunterhaltung aus den 90ern wollte RTL wiederbeleben, indem es der ehemaligen RTL-Shop-Tante Natascha Zuraw eine eigene Nachmittagstalkshow verpasste. In die Mitte einer Arena setzte man nacheinander die Gäste, die dann von allen Seiten bestaunt werden konnten, während Frau Zuraw ihre ganze Ahnungslosigkeit zur Schau stellte und beispielsweise Nudisten mit Kinderschändern gleichsetzte, womit sie zwar den Applaus ihres gleichermaßen beschränkten Publikums bekam, aber nicht die Gunst des Fernsehpublikums erlangen konnte. Nach 19 Folgen wurde der Krampf endlich abgesetzt.

Der Juni war der Fußballmonat des Jahres. Die Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz sorgte dabei auch für denkwürdige TV-Momente. Das Schweizer Fernsehen blendete zum Beispiel vor dem Spiel Deutschlands gegen Österreich in der Vorrunde den falschen Text zur deutschen Nationalhymne ein: Deutschland, Deutschland über alles … Die dafür verantwortlichen Praktikanten bekamen in einem ernsten Gespräch eine Lektion über Sorgfalt, ein deutscher Sender hätte das vermutlich „nicht tolerierbar“ gefunden und die beiden rausgeschmissen. Die größte Peinlichkeit war es aber nicht, und auch der Bildausfall beim Halbfinale war nur ein ärgerlicher Fauxpas. Selbst die Flaggenpanne der Tagesschau, bei der man kurzzeitig die Reihenfolge der Farben unserer Nationalfahne vergaß, ist verzeihlich. Die eigentliche Frechheit, die uns die EM bescherte, war die unsägliche ZDF-Sendung „Nachgetreten!“, die eigentlich schon zwei Jahre zuvor bei der WM so lausig war (Zitat der ehrwürdigen Financial Times Deutschland: „Pipi-Kacka-Kotze-Niveau“), dass man nur am Geisteszustand desjenigen zweifeln kann, der es für eine gute Idee hielt, Ingolf Lück und seinen Kohorten eine Neuauflage dieser gesendeten Katastrophe zu gestatten, und damit Gebührengelder vernichtete.

Gebühren für einen angeblichen Energieausgleich verlangte hingegen der Unternehmer Thomas Hornauer mit seinem „Kanal Telemedial“, auf dem neben Getrommel, pseudoesoterischem Gelaber und den schon berüchtigten Verbalergüssen Hornauers über unverschämte Zuschauer, die Deutschmarkt (sic) oder die dummen Kritiker angeblich auch echte Lebenshilfe dank Energieübertragung per Telefon und Bildschirm zu bekommen war. Im Juni entzog die österreichische Kommunikationsbehörde dem Sender die Lizenz, Hornauer wehrte sich jedoch noch einige Monate lang, bis er dann endgültig aus dem Fernsehen verschwand – auf seinen Internetseiten wird das Programm allerdings immer noch wiederholt.

ProSieben schickte Ende Juni dann seine Quasseltitten Gülcan Kamps und Collien Fernandes aufs Land in einem lahmen Remake des sowieso schon öden „Simple Life“ mit Paris Hilton und Nicole Richie. Das Programm war insbesondere darauf ausgerichtet, die Protagonistinnen schlecht darzustellen, sodass die Zuschauer gezielt darauf gelenkt wurden, eine Anti-Gülli-Colli-Haltung einzunehmen, selbst wenn die beiden Mädchen mal aus berechtigten Gründen die Arbeit verweigerten. Trotz meiner allgemeinen Hartherzigkeit taten mir die Damen sogar mal für einen kurzen, schwachen Moment leid.

Eingeklemmt zwischen der EM im Juni und den Olympischen Spielen im August war im Juli die Tour de France, die wieder von ARD und ZDF übertragen wurde. Obwohl auch diesmal wieder mehrere Dopingfälle auftraten und ein Team schließlich deswegen ganz ausstieg, hielten die Sender diesmal an der Übertragung fest und behaupteten, die entlarvten Dopingsünder seien ein Beweis für den Sinneswandel im Radsport, was die Frage provoziert, wo der Sinneswandel liegen soll, wenn man schon in den Jahren zuvor dauernd Radfahrer überführt hat. Die Erkenntnis, dass man in diesem Sport heutzutage wohl überhaupt nicht mehr auf dem Treppchen landen kann, wenn man sich nur von Müsli und Birnen ernährt und sich von den Erzeugnissen der Pharmaindustrie fernhält, setzte sich aber erst im Oktober bei den Verantwortlichen bei ARD und ZDF durch, als Fahrern des Teams Gerolsteiner Doping nachgewiesen wurde. Ob sich unsere öffentlich-rechtlichen Sender aber an ihr Versprechen halten, die Tour 2009 wirklich nicht zu übertragen, wird sich wohl erst im Sommer zeigen. (Anmerkung: Natürlich haben sie sich nicht daran gehalten …)

Für Sportmuffel wie mich war es ein hartes Jahr bei so vielen Sportveranstaltungen: Der August wurde eindeutig von Olympia dominiert. Aber selbst dabei ging es nicht unbedingt um die sportlichen Leistungen, sondern um die Webseiten, die die westlichen Journalisten nicht erreichen konnten und die sie eigentlich auch nicht für die Sportberichterstattung brauchten. Das Geflenne über Monate war so würdelos, dass man richtig froh war über die Enthüllung, China habe Aufnahmen der Eröffnungszeremonie mit Computergrafiken aufgemotzt und ein kleines Mädchen zum Playback verdonnert, weil die richtige Sängerin zu hässlich für die Öffentlichkeit war.

Sat.1 beeindruckte hingegen mit einer ganz eigenen Variante des „Kerl sucht Schnitte“-Prinzips. Bei „Gräfin gesucht“ sollten sich vier Adlige ein paar junge Bräute suchen. Schon bei der Vorauswahl wurde klar, dass es um die Suche nach der wahren Liebe geht, denn eine Frau bewarb sich gleich für alle vier Blaublüter, wurde aber nur von einem eingeladen (und dann noch nicht mal als einzige) und entpuppte sich dort als genau die oberflächliche Zicke, die man bereits beim ersten Anblick erwartet hatte. So richtig funkte es am Ende nur bei einem Pärchen, aber das ist immerhin eine höhere Quote als bei „Herzblatt“.

Apropos Quote: Quotenprobleme sorgten dafür, dass RTL die preisgekrönte Serie „My name is Earl“ absetzte und wieder einmal bewies, dass auch amerikanische Serien nicht unbedingt besser beim deutschen Publikum ankommen als deutsche. Dass der Sendeplatz ab September aber vom Scherzinfarkt „Alles Atze“ gefüllt wurde, muss man wohl als Kapitulation von RTL ansehen, die damit gleich ganz auf Humor im freitäglichen Spätprogramm verzichteten. Die „Sonja & Dirk Show“ war daher am letzten Freitag des Augusts eine tolle Einstimmung darauf und bewies, dass Moderatoren, deren Gemeinheiten beim Dschungelcamp hervorragend funktionieren, eine mittlere Katastrophe sein können, wenn man sie auf das normale Volk loslässt.

Auch der selbsternannte Sprachguru Bastian Sick durfte im September zeigen, dass Humor nicht zu seinen Stärken gehört. Die Bastian-Sick-Schau im WDR war geprägt von hölzerner Moderation, unterirdischen Sketchen von Jochen Busse und Susanne Pätzold und natürlich den linguistisch oft recht fragwürdigen Lektionen Sicks, die mich winselnd ins Sofakissen beißen ließen und für die heutige Germanisten keine Hand ins Feuer legen würden. Wenn 90 Prozent der Deutschsprecher meinen, es hieße „wohlgesonnen“, heißt es nämlich auch „wohlgesonnen“, ganz egal, was ein Bastian Sick dazu sagt – Sprache ist im Prinzip nun mal höchst demokratisch.

Einen Schuss in den Ofen leistete sich auch RTLs Allzweckmoderator Oliver Geissen mit seiner „Show der Woche“, die ein amüsanter Rückblick auf die vergangene Woche mit all ihren Schlagzeilen und Kuriositäten sein sollte, aber dann in der Ausführung dann doch nur zu einer ziellosen Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten mit nur geringem Aktualitätsbezug mutierte. Auch die dümmste Show-Idee des Septembers durfte sich RTL an die Backe kleben: In der Samstagabendsendung „Mensch gegen Tier“ sollten sich Menschen in Disziplinen wie Luftanhalten, Brüllen und Tauziehen mit Tieren messen und dabei noch die Moderationen von Marco Schreyl erdulden, der sich kaum von seinen besten Freunden losreißen konnte (und damit meine ich keine Hunde oder sonstige Tiere, sondern seine Moderationskarten). Der Höhepunkt war ein Rennen zwischen einem Radfahrer und einem Gepard, welches der Gepard zumindest moralisch gewann, indem er nach der halben Strecke mit dem blöden Gerenne aufhörte und somit den Zweck der ganzen Sendung so infrage stellte, wie es die Verantwortlichen hätten tun sollen, bevor sie diesen albernen Konkurrenzkrampf in den Äther entließen. Dass die Quoten dann aber auch noch gut waren, kann man wohl als Hinweis darauf verstehen, dass die tierische Intelligenz die menschliche gelegentlich doch übertrifft.

Diesen Schluss hätte man auch angesichts der KabelEins-Sendung „Imbiss live“ ziehen können. Der Sender verwanzte eine Magdeburger Imbissbude mit Kameras und Mikrofonen, und während die Tiere ihre Mitwirkung klugerweise darauf beschränkten, auf dem Grill zu liegen, sorgten die Menschen für einen unerwarteten Quotenerfolg. Warum diese Version von „Dittsche“ ohne Olli Dittrich, Handlung und Witz so gut ankam, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben – wer guckt sich denn schon den Alltag in einer Currywurstbude im Fernsehen (oder Internet) an, wenn er genau die gleichen Erfahrungen ganz live und hautnah im Imbiss um die Ecke bei einer leckeren Wurst machen könnte, die nebenbei den Cholesterinspiegel an die Decke hebt?

Wie ein Leuchtturm dominierte ein Ereignis den Oktober der deutschen Fernsehlandschaft: die versuchte Verleihung des Deutschen Fernsehpreises an Marcel Reich-Ranicki. Der Greis fand jedoch beim Anschauen der Gala plötzlich heraus, dass er das Fernsehprogramm eigentlich scheiße findet, und wurde auf einmal zum Helden der Zuschauer, die in dem Fernsehmuffel und Literaturkritiker ihren Messias zu erkennen glaubten. Profitiert haben allerdings nicht die Fernsehzuschauer, sondern Reich-Ranicki selbst. Nebst einigen lukrativen Werbeverträgen gewann er Fernsehpreis-Moderator Thomas Gottschalk als neuen Busenfreund und durfte ihm schließlich einen Monat später sogar beim Prominentenspecial von „Wer wird Millionär“ bei der Millionenfrage helfen, die natürlich ganz zufällig mit Franz Kafka zu tun hatte und wie gemacht war für einen Literaturpapst wie Reich-Ranicki.

Die an sich bitter nötige Aufmerksamkeit für die „Popstars“ auf ProSieben kam wohl auch in einer wenig erwünschten Form: Die BILD-Zeitung ließ die Emotionen der Gesellschaft hochkochen, indem sie behauptete, dass in der kommenden Sendung eine Kandidatin vor laufender Kamera vom Tod ihrer Mutter erfahren würde. Prompt meldeten sich mediengeile Empörungshuren wie CDU-Generalsekretär Pofalla und redeten noch viel mehr vom Tod der Mutter und wie zynisch und gemein es wäre, das so öffentlich breitzutreten. Der Sender selbst wies zwar etwas hilflos darauf hin, dass die Kameras gar nicht liefen, als das Mädchen die Nachricht bekam, aber die Berufsbetroffenen hatten sich da schon so sehr in Rage geredet, dass sie ganz trotzig auf ihrem Standpunkt beharrten, den ich nur mit „Na und, was kümmert uns die Realität, ihr seid trotzdem gemein!“ paraphrasieren möchte.

Als wenn ProSieben es sattgehabt hätte, ungerechtfertigt kritisiert zu werden, gab man sich im November größte Mühe, einen wirklichen Rohrkrepierer zu fabrizieren. Und das mit Erfolg: „Uri Geller live: Ufos und Aliens“ war trotz großer Konkurrenz wirklich mit Abstand die größte Fernsehkatastrophe des Jahres. Der Illusionist stachelte sein Publikum auf, mit Gedankenkraft Aliens zu kontaktieren, und zur Sicherheit mietete man noch ein Radioteleskop in der Ukraine an, was vorher eingesendete Botschaften ins All strahlen sollte, falls die außerirdischen Mentalisten sich zufällig gerade nicht auf die Wellenlänge von Uri Geller getunt hatten. Daniel Aminati im ukrainischen Kontrollzentrum versuchte, das Senden der Nachrichten aufregender darzustellen, als es war (obwohl man den Zuschauern sogar mithilfe einer Hupe signalisierte, wann man sendet, weil so ein Radioteleskop nun mal irgendwie immer gleich aussieht, egal ob es sendet oder tot wie ein Türnagel ist) und scheiterte dabei so sehr, dass selbst ein Heimvideo von Zwölfjährigen dagegen wie „Armageddon“ wirkte. Nach erfolgter Abstrahlung versuchte er vergeblich, Spannung aufzubauen, indem er an Computergrafiken zeigte, wie weit die Botschaft schon wäre. Da wir aber ziemlich sicher sind, dass es auf dem Neptun keine Aliens gibt, und der nächste Stern theoretisch die Nachricht erst in vier Jahren bekommen würde, musste die dreistündige Sendung auch noch von den Gästen gefüllt werden. Stefan Gödde ließ Erich von Däniken über Prä-Astronautik reden, Nina Hagen durfte ein Interview mit einem angeblichen Halb-Alien aus Roswell beisteuern, und Verena Wriedt von N24 spülte ihre journalistische Glaubwürdigkeit im Klo herunter, indem sie von Zuschauern eingesendete UFO-Videos präsentierte. Nebenbei durfte Vincent Ravens Rabe noch enthüllen, dass Außerirdische eine Seele besäßen. Vermutlich hätte man schon nach einer halben Stunde vier Joachim Bublaths aus dem Studio jagen können. Sympathieträgerin war ausgerechnet Johanna Klum, die angesichts des UFO-gläubigen Apollo-Astronauten Ed Mitchell trocken bemerkte, dass auch ein Astronaut einen an der Waffel haben könne. Dass das über das Radioteleskop abgeschickte Signal nach einem Jahr vermutlich zu schwach sein wird, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden, ist wohl ein Segen, denn ich bin mir nicht sicher, ob Aliens an friedlichen Absichten festhalten würden, wenn sie von dieser Sendung erführen. Statt Zweifel an der Existenz von intelligentem Leben im All zu zerstreuen, hat sie schließlich eher Zweifel an der Existenz von intelligentem Leben auf der Erde geschürt.

Und wieder wurden deutsche Serien vom Hammer der Absetzung getroffen. Sat.1 mochte nicht einmal mehr sämtliche produzierten Folgen von „Dr. Molly und Karl“ sowie „Plötzlich Papa“ senden, und RTL kündigte die Absetzung von „112 – Sie retten dein Leben“ an, einer Action-Soap, die versuchte, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst mit Krankenwagen und Hubschrauber sowie das sonstige Leben der über 20 Hauptdarsteller in 22-minütige Folgen zu quetschen.

Einen schlechten Start erwischte auch die neunte Staffel von „Big Brother“ auf RTLII. Das „Arm und reich“-Prinzip wurde in „Himmel und Hölle“ umbenannt, aber das lockte offenbar kaum Zuschauer an. War die letzte Staffel noch regelmäßig über dem Senderschnitt, ist die aktuelle Version eher ein Sorgenkind für den Münchener Sender. Mittlerweile wird man in Deutschland bekannter, wenn man hilflos, nackt und verwirrt über öffentliche Straßen krabbelt und von herzlosen Leserreportern fotografiert wird, als durch den Einzug ins Big-Brother-Haus. In Großbritannien lief im Oktober eine Horrorserie namens „Dead Set“, bei der sich Bewohner des Big-Brother-Hauses gegen Zombies wehren müssen, die das Land überrannt haben. Wenn RTLII irgendwie Leben in die jetzige Staffel bekommen möchte, sollte der Sender es ja vielleicht doch mit Untoten versuchen.

Die Wirtschaftskrise räumte indes ein wenig mit der Fernsehlandschaft auf: Viacom degradiert den deutschen Ableger von „Comedy Central“ zum Nachtprogramm des Kindersenders „Nick“. Anfangs gab es noch Hoffnungen, man würde diese Chance nutzen, um sich auf die Stärken zu besinnen, aber ein Blick ins Programm zeigt, dass man sich trotzdem nicht von Tiefpunkten wie „Die dümmsten …“ und „Hot Spots“ trennen mag und auch die Angewohnheit, mehrere Folgen einer Serie pro Tag zu zeigen, scheint dem Programmplaner irgendwie im Blut zu liegen. „Comedy Central“ bleibt also, wie es war, nur nicht mehr so lange.

Und so endet das Jahr 2008 fernsehtechnisch mit einem Moll-Ton. Über die Monate gab es viel Mist, gelegentliche Skandale, ab und zu sogar mal einige Perlen wie „Doctor’s Diary“, die verdientes Lob bekamen und die wir im nächsten Jahr auch wiedersehen werden. Wollen wir hoffen, dass 2009 trotz Finanzkrise die Perlen häufiger werden, die Sender ihre Internetfernseh-Angebote massentauglich machen und wir keinen Grund mehr haben, uns für die Einfallslosigkeit des deutschen Fernsehens zu schämen. Frohes neues Jahr!

Diese Kolumne wurde ursprünglich für TVMatrix.de geschrieben.

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