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Ein paar Worte über Rassismus

In Deutschland brennen wieder Flüchtlingsheime, obwohl wir alle hofften, dass derartige Scheußlichkeiten nie mehr vorkommen würden und wir alle in der Lage wären, Konflikte auszutragen, ohne in die Abgründe von Gewalt und Barbarei abzurutschen. Offenbar sind manche Leute nicht dazu in der Lage, und es ist eine Schande. Und wir können es ruhig beim Namen nennen: Anschläge auf Flüchtlingsheime sind Terrorismus, das kann man nicht schönreden.

Der Bürgerkrieg in Syrien ist eine Katastrophe, und es gebietet der menschliche Anstand, dass wir Opfern dieses Konflikts eine sichere Bleibe bieten. Auch aus anderen Teilen der Welt kommen Menschen zu uns, die ernsthafter politischer Verfolgung ausgesetzt sind, und auch bei denen ist selbstverständlich, dass sie bei uns Asyl genießen, während gleichzeitig international darauf hingewirkt wird, die Probleme in den Heimatländern zu lösen. Krisen sind leider nicht so nett, sich an Quoten zu halten, insofern ist es natürlich absurd, für Flüchtlinge irgendwelche festen Einwanderungsquoten festzulegen. Gleichermaßen ist es absurd, wenn man in Europa versucht, das Flüchtlingsproblem allein auf die Länder an den Südgrenzen des Kontinents abzuwälzen.

Es ist klar: Der Rassismus und die daraus resultierende Gewalt sind ein großes gesellschaftliches Problem bei uns. Und gerade deswegen ist mir nicht wohl dabei, wie viele Menschen (gerade auch Prominente) sich auf die bequeme Position zurückziehen, dass die Rassisten und die Menschen in ihren rhetorischen Fängen einfach alle blöd wären und dazu alle winzige Pimmel hätten. Das mag das eigene Ego streicheln, aber es führt uns keinen Zentimeter näher an die Bewältigung dieses gesellschaftlichen Problems heran. Wir müssen Rassismus verstehen, um ihn eindämmen zu können.

Wir werden immer noch von dem evolutionären Erbe beeinflusst, das uns Hunderttausende Jahre Menschheitsgeschichte mitgegeben haben. Der Mensch ist ein soziales Tier, ausgelegt auf ein Leben innerhalb einer Gruppe. Das menschliche Gehirn ist in dieser Hinsicht relativ beschränkt: Etwa 150 bis 200 Menschen können wir als Individuen noch erfassen. Alles darüber wird nur noch als Gruppe wahrgenommen – bzw. als verschiedene Gruppen, eingeteilt nach relativ oberflächlichen Merkmalen. Die eigene Gruppe ist für den Menschen natürlich am wichtigsten. Zu jeder Zeit haben verschiedene Gruppen, Sippen oder Stämme am gleichen Ort um die begrenzten Ressourcen konkurriert, und es war selten so, dass für jede Gruppe genug dieser Ressourcen vorhanden waren. So ein Konkurrenzkampf um die Ressourcen kann allerdings immer recht schnell brutal und grausam werden. Als einigermaßen vernunftbegabtes Wesen will der Mensch aber vor sich und anderen rechtfertigen können, warum die Mitglieder der eigenen Gruppe ein stärkeres Anrecht auf die Ressourcen haben als Außenstehende, und er will ebenso vor sich rechtfertigen können, wieso man den Außenstehenden Dinge antut, die man zwischen eigenen Gruppenmitgliedern nicht tolerieren würde. Die Andersartigkeit der anderen Gruppe ist ein willkommener Anknüpfungspunkt, aus dem sich die Rechtfertigungen ergeben, wieso diese Gruppe das Überleben weniger verdient hat als die eigene. In der restlichen Tierwelt ist man da vermutlich weniger bemüht; eine Schimpansensippe wird eine andere Schimpansengruppe einfach deswegen (bis hin zum Tod) vermöbeln, weil es halt nicht die eigene Horde ist und man die Nahrung in der Umgebung nicht teilen will.

Das Gruppendenken ist unheimlich mächtig. Wir wissen, dass Mitglieder einer Gruppe Handlungen moralisch unterschiedlich bewerten, je nachdem, ob die eigene Gruppe diese Handlungen durchführt oder nicht. Wir wissen auch, dass Leute innerhalb einer Gruppe eher zu gewissen Taten überredet werden können und dass in einer Gruppe radikalere Ansichten entstehen können, als die Einzelmitglieder der Gruppe eigentlich vertreten. Wir wissen sogar, dass diese Gruppendynamiken selbst dann entstehen, wenn man zufällig in eine Gruppe eingeteilt wird und die anderen Gruppenkameraden noch gar nicht kennt. Selbst unter diesen Umständen wird man schnell eine andere Gruppe als „Gegner“ ansehen, obwohl objektiv die verschiedenen Mitglieder nichts voneinander unterscheidet. Rassismus ist eine Ausprägung des Gruppendenkens, bei dem die Herkunft, anderes Aussehen und unterschiedliche kulturelle Eigenheiten als Differenzierungsmerkmale benutzt werden, um die eigene Gruppe von der anderen abzugrenzen.

Das heißt aber auch, dass Rassismus im Prinzip eine Voreinstellung im menschlichen Denken ist, und es braucht Mühe, um sich davon zu lösen. Kleinkinder, die kulturell noch nicht entsprechend vorgeprägt sind, verhalten sich tendenziell zurückhaltend oder gar ablehnend gegenüber Kindern mit anderer Hautfarbe, selbst wenn die Eltern weltoffen und tolerant sind. (Diese Eltern fallen oft aus allen Wolken, wenn sie so ein Verhalten beobachten, und fragen sich dann, was sie falsch gemacht haben.) Erst später, wenn die anderen Kinder quasi offiziell zur eigenen Gruppe gehören, können sich die Kriterien wandeln, nach denen man die eigene von anderen Gruppen abgrenzt.

Jedenfalls: Um Rassismus zu verstehen, muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass im Kern ein Konkurrenzkampf um begrenzte Ressourcen zwischen der eigenen Gruppe und einer fremden angenommen wird. So erklärt sich auch, wer am anfälligsten für die Parolen gegen Flüchtlinge ist: Leute, die sich um die Stabilität ihrer eigenen Ressourcenversorgung und ihrer Lebensqualität ängstigen. Das sind zum großen Teil arme Menschen, die fürchten, dass für sie weniger Geld, Wohnungen, Hilfsangebote, Arbeitsplätze etc. bereitstehen werden, weil mehr für Asylbewerber und Asylberechtigte aufgewendet wird. Es sind aber auch Menschen, die einen mehr oder weniger bescheidenen Wohlstand aufgebaut haben und nun fürchten, dass dieser in Gefahr gerät, sei es durch höhere Kriminalität, sei es durch höhere Abgaben, die eingefordert werden, um die zweifellos hohen Kosten der Flüchtlingsunterbringung zu stemmen. Es kann sich auch um Leute handeln, die im Hinblick auf die höheren Belastungen für die Kommunen fürchten, dass solche Sachen wie Straßenbeleuchtung, Straßenreparaturen usw. in ihrem Ort aufgrund von Geldmangel auf der Kippe stehen. Ebenso ist es möglich, dass Menschen befürchten, aus Rücksicht auf die kulturellen Gewohnheiten der Flüchtlinge aus fremden Kulturen ihren Lebensstil ändern zu müssen, gerade in Orten, wo plötzlich mehr Flüchtlinge als Einheimische leben. Kurz: Es geht um Ängste aus verschiedensten Gründen. Und diese Ängste sind nicht alle irrational oder aus purer Dummheit geboren. Wer rassistische Tendenzen bekämpfen will, muss sich mit den Fragen und Ängsten dieser Leute beschäftigen. Und damit meine ich nicht, dass man mehr oder weniger halbherzig alle diese Befürchtungen abkanzelt und als unbegründet zurückweist. Ich schaue mir die oben erwähnten Punkte an und ich kann nicht guten Gewissens behaupten, dass ich für alle diese Fragen beruhigende Antworten hätte. Ein großer Teil der Befürchtungen dreht sich halt ums liebe Geld, und es wäre arg unehrlich, so zu tun, als wenn öffentliche Gelder keine begrenzte Ressource wären. Wenn man aber all diese Fragen ignoriert, riskiert man, die Fragenden in die Arme derjenigen zu treiben, die eine simple Antwort bieten, selbst wenn es nur so eine stumpfe mit dem Wortlaut „Ausländer raus“ ist.

Es haben sich ja auch schon allerlei Prominente zum Thema gemeldet, wobei insbesondere eine Interviewantwort von Farin Urlaub relativ viel Aufmerksamkeit fand – leider auch auf miese Art. Beschimpfungen und Morddrohungen, solche Reaktionen entsetzen mich. Davon aber abgesehen: So sehr ich Farin Urlaub auch mag, seine Begründung für Rassismus hinterlässt bei mir einen faden Nachgeschmack.

Solange es Leute gibt, die nichts können, nichts wissen und nichts geleistet haben, wird es auch Rassismus geben. Denn auch diese Leute wollen sich gut fühlen und auf irgendetwas stolz sein. Also suchen sie sich jemanden aus, der anders ist als sie und halten sich für besser. Oder sie sind bekloppterweise stolz darauf, „Deutsch“ zu sein, wozu keinerlei Leistung ihrerseits nötig war.

Der Hass entsteht dann beispielsweise aus der Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Realität; denn wenn sie wirklich „besser“ wären, dann würden sie ja auch etwas können.

Um mal ein Beispiel aus den USA zu geben: Donald Trump ist zwar ein Idiot, aber er ist nicht blöd, er hat auch gewisse Talente und man kann trotz aller Antipathie sagen, dass er durchaus nicht unerfolgreich ist. Wie man auch selbst zur Wichtigkeit wirtschaftlichen Erfolgs steht: Er hat das erreicht, was er sich selbst wünschte. Und trotzdem ist er ein Rassist, wie seine Bemerkungen gegenüber Mexikanern beweisen. Das entsteht aber auch nicht daraus, dass er nicht so erfolgreich wäre, wie er sich selbst gerne darstellt. (Er ist zwar nicht so reich, wie er behauptet, aber selbst er dürfte die Schuld dafür nicht unmittelbar bei den Mexikanern verorten.)

Aber Farin Urlaub redet nicht von den reichen Rassisten. Auch Farin Urlaub dürfte wissen, dass ein großer Teil der Leute, die in die Fänge der rassistischen Rattenfänger gelandet sind, ziemlich arm sind. Ich denke, die meint er auch, wenn er von „nichts können, nichts wissen, nichts geleistet“ redet. Mir ist nicht wohl dabei, armen Leuten (egal aus welcher politischen Ecke) pauschal vorzuwerfen, sie wären unfähig, dumm und faul, denn es gibt viele Schicksalsschläge, die dafür sorgen können, dass man nur schwer auf die Beine kommt, und wenn man mal ganz unten ist und den Glauben entwickelt, dass sich die ganze Welt gegen einen verschworen hat, ist man auch besonders empfänglich für populistische Erklärungen, gerade wenn man sich von der Obrigkeit und den Wohlhabenden unverstanden und marginalisiert fühlt. Ich weiß nicht, in welchen Umständen Farin Urlaub jetzt leben würde, wenn er keine Millionen als Musiker verdient hätte, sondern irgendwann in den 80ern dazu gezwungen worden wäre, seinen Traum aufzugeben, so wie es den meisten anderen Jugendlichen geht, die gerne Popstar werden wollen. Würde er dann von sich selbst behaupten, er hätte was geleistet? Aus seiner Antwort klingt ein bisschen heraus: „Wer nichts geleistet hat, blickt auf Ausländer herab. Wer was geleistet hat, kann ruhig auf die herabblicken, die nichts geleistet haben.“ Wie gesagt: Ich mag Farin Urlaub, aber sein Kommentar hatte einen schlechten Unterton. Man sollte Rassismus nicht über die persönlichen Leistungen anderer definieren.

Wirklich verwunderlich ist dieser fade Beigeschmack aber dann auch wieder nicht. Denn auch er passt absolut zum Gruppendenken. Die andere Gruppe sind die Rassisten, die begrenzten Ressourcen, um die man konkurriert, sind politischer und gesellschaftlicher Einfluss. Und den Einfluss hat die andere Gruppe dann eben nicht verdient, weil sie halt alle dumme Nichtskönner sind, die nichts geleistet haben. So einfach ist das, eine differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung mit den gegnerischen Motivationen und Positionen ist überhaupt nicht notwendig. Fühlt sich bestimmt gut an. Aber Fremdenfeindlichkeit reduziert man so nicht.

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