Vorsicht, Humor!
Nuff! Ich grüße das Volk.
Ich bin ein fleißiger Nutzer des Programms MediathekView, mit dem man gezielt nach Sendungen aus den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands, Österreichs und der Schweiz suchen und sie auch herunterladen kann.
Der WDR sendete am 22. Juli nachts die ersten beiden Otto-Shows aus den Jahren 1973 und 1974, wie ich zufällig mitbekam, und ich lud die Folgen dann auch runter. Sowohl im Fernsehen als auch bei den heruntergeladenen Videos fiel mir der Disclaimer am Anfang auf, der da sagte:
Ich schüttelte den Kopf darüber, aber ignorierte diese Einblendung einfach.
Am 14. August sendete der WDR die erste Otto-Show erneut und stellte das Video wieder in die Mediathek. Diesmal fiel die Einblendung einigen größeren Medienanbietern auf und seitdem gibt’s allerlei Artikel über „Warnhinweise vor Shows von Otto Waalkes“ (etwa hier bei T-Online: WDR setzt Warnhinweis vor Shows von Otto Waalkes).
Der WDR sendet derzeit gelegentlich nachts auch alte Folgen der Show „Schmidteinander“ (mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein), und während die zwar nicht in der Mediathek sind, blendet der Sender auch hier bei der Fernsehausstrahlung davor diesen Warnhinweis ein, damit sich zarte Seelen auf die furchtbare Diskriminierung gefasst machen können. Auch das haben diverse Medien zur Kenntnis genommen und kommentiert.
Man sieht also mal wieder: Ich hätte Trendsetter sein können, wenn ich im Juli nicht einfach meine Fresse gehalten hätte. Hmpf.
Aber gut, kann man nicht ändern. Dann geb ich halt jetzt meinen Senf dazu.
Fangen wir positiv an: Ich finde es gut, dass man diese alten Sendungen nicht einfach in den Giftschrank sperrt und nie wieder sendet. Zweifellos müssen manche Leute, die diese alten Werke für furchtbar diskriminierend halten, durchaus gegen den Reflex ankämpfen, sie einfach mit einem Sperrvermerk im Archiv zu versehen und dafür zu sorgen, dass sie in Vergessenheit geraten. Da ist so ein Warnhinweis schon eine bessere Lösung.
Ich muss dabei auch an alte Cartoons und Kurzfilme denken, die Walt Disney und Warner Brothers in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts schufen und die allerlei Klischees über Schwarze, Juden, Indianer, Japaner und Deutsche verarbeiteten. In den letzten Jahrzehnten haben beide Studios ein bisschen damit gehadert, wie sie mit diesem Erbe umgehen sollten. Disneys Vorgehen bis heute: Filme, die heutige Sensibilitäten verletzen könnten, bleiben im Giftschrank und werden nicht mehr veröffentlicht. Auch einzelne Szenen werden aus den alten Filmen rausgeschnitten, die man weiterhin zeigt, so etwa bei „Dumbo“, wo an einer Stelle eine Krähe namens Jim Crow auftrat.
Warner Brothers hingegen stellte sich der Vergangenheit und veröffentlichte die alten Cartoons als Sammler-Ausgabe auf DVD, versehen mit einem Hinweis auf die anderen Wertvorstellungen in der Entstehungszeit, die zu Szenen führten, die man heute nicht mehr produzieren würde.
Auf der anderen Seite ist es natürlich auch dämlich. Selbstverständlich hatte man vor 80, 50 oder 30 Jahren nicht die exakt gleichen Ansichten wie heute. Es ist Quatsch, das extra sagen zu müssen. Und gleichzeitig ist es höchst subjektiv. Wer entscheidet nach welchen Kriterien, dass der Humor in einer Sendung so diskriminierend wäre, dass sie einen Warnhinweis braucht? „Otto macht Witze über Chinesen, da muss ein Warnhinweis hin.“ „Die Lümmel von der ersten Bank macht zwar Lehrer lächerlich, aber scheiß doch auf die doofen Pauker, hehe.“ „Bei Schmidteinander deklamiert Harald Schmidt das Gedicht Schwäbische Kunde von Ludwig Uhland, da gehört eine Warnung vor die Sendung!“ „Diese Aufzeichnung vom Chiemgauer Volkstheater deutet an, dass eine junge Frau die Erlaubnis ihrer Eltern braucht, um heiraten zu dürfen? Haha, egal, altes Brauchtum!“ Eine gewisse Willkür ist da nicht zu vermeiden, wenn man nicht alles mit einem virtuellen Beipackzettel versehen will, was älter als zehn Jahre ist.
Wenn man die Sache weiterdenkt, stellt sich aber auch die Frage: Warum muss etwas alt und „Teil der Fernsehgeschichte“ sein, bevor es einen Warnhinweis bekommt? Schließlich treten die Heute-Show, Dieter Nuhr oder Jan Böhmermann mit ihren Sendungen heute schon Teilen der Bevölkerung auf die Füße, sind sich dessen durchaus bewusst und zum Teil sogar offen stolz darauf. Und wenn wir schon vom WDR reden, der mit seinen Einblendungen die ganze Diskussion ins Rollen gebracht hat: Sind Übertragungen von aktuellen Karnevalssitzungen nicht genauso schmerzhaft wie die von vor vierzig Jahren? Sollten beide dann nicht mit Triggerwarnungen versehen werden?
Wenn’s nach mir geht, nein. Meinetwegen kann man die komplett weglassen, sie bringen sowieso nichts. Wenn sich irgendwer furchtbar empören will, dann wird er das auch so tun und versuchen, in den sozialen Medien einen „I can’t even“-Shitstorm zu entfesseln, gerne mit theatralischer Übertreibung all der emotionalen Schäden, die dieser Mensch auf der Mattscheibe mit einem Witz verursacht hat, als wäre er im Besitz einer Voodoopuppe der Zuschauer und würde sie auf grausamste Weise malträtieren.
Nötiger wären vielleicht andere Warnhinweise, etwa bei journalistischen Sendungen insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Unter den in dieser Sendung interviewten Passanten sind höchstwahrscheinlich zufällig Politiker der Grünen.“ Oder bei Dokumentationen: „Die befragten Experten in dieser Dokumentation arbeiten alle für die Denkfabrik, bei der auch der Cousin des Dokumentarfilmers angestellt ist, und vertreten daher auch die gleiche Meinung.“
Auch die üblichen Filme, die insbesondere von den ARD-Anstalten gedreht werden, könnten so einen Disclaimer gebrauchen: „Achtung, dieser Film wurde bewusst extrem schnulzig und schmierig gedreht, damit eure Uromis, die vor dem Fernseher dahindämmern, die süße Erlösung durch Gevatter Tod herbeisehnen.“
Natürlich würde das allmählich überhandnehmen und am Ende würden alle Zuschauer diese Einblendungen gar nicht mehr wahrnehmen, so wie die Hinweise auf Wattestäbchenpackungen, dass man sich damit nicht in den Ohren herumpulen darf, oder dass man die Shampooflasche getrennt vom Deckel in die gelbe Tonne schmeißen soll. Eine Warnung allerdings würde mir doch ganz gut gefallen: Vor jedem Interview mit einem Berufspolitiker sollte eine kleine Erinnerung eingeblendet werden, die in etwa sagt:
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit.
Nebenbei habe ich noch vor einigen Tagen einen kleinen Überblick zum „Gender Equality Paradox“ auf die Seite gestellt. Darunter versteht man das Phänomen, dass sich Geschlechtsunterschiede in Ländern mit mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern verstärken, anstatt zu schrumpfen. Der Text ist tatsächlich eher eine Auflistung als eine ausgefeilte Abhandlung, aber ich dachte, es wäre mal interessant, so etwas gesammelt abrufbar zu haben.
Übrigens habe ich beim Durchblättern aktueller Bravo-Hefte festgestellt, dass es darin gar keine Foto-Lovestorys mehr gibt. Da hab ich mein Abo ja genau zur richtigen Zeit beendet. (Auch wenn der Verlag das nicht wahrhaben wollte.) Ist jetzt nicht megawichtig, aber ich wollte es mal anmerken.
Bis dann, bleibt kühl bei dieser Affenhitze!
PS: Ich habe in der Nacht zum 19. August ein größeres Software-Update des KW-Servers durchgeführt, deswegen muss sich jeder neu einloggen, der es seitdem noch nicht gemacht hat. Es sollte alles funktionieren wie gehabt; falls nicht, meldet euch bei mir.
Premiummitglied
Auf jeden Fall bin ich bei dir, dass es besser ist so einen dämlichen Disclaimer vorzuschalten, als die Sendungen in den Giftschrank zu sperren.
Ich finde es nur traurig, dass es sowas scheinbar "braucht".
Sei es, weil die Programmverantwortlichen Angst vor Gegenwind haben, oder weil es wirklich Leute gibt, die sich wegen alter Sendungen angegriffen fühlen.
Das war für mich aber auch schon bei #metoo so schräg, dass man versucht hat Leuten für ihre Taten zu verurteilen, obwohl die Handlungen zu einer Zeit geschehen sind, als sowas noch akzeptiert wurde. Macht es ja aus heutiger Sicht nicht richtiger. Aber man muss halt immer auch den Zeitgeist beachten. Es sagt doch auch keiner, dass die im (Früh-)Mittelalter alle pädophil waren, weil Mädchen da schon mit 13 verheiratet werden durften. Es waren einfach andere Zeiten. Und heute ändern sich die Befindlichkeiten und Werte deutlich schneller als zu damaligen Zeiten. Änderungen, die heute vielleicht eine Generation brauchen, waren früher undenkbar...