Klopfer und die versteckte Schokolade
Ich wünsche allen Lesern ein frohes Osterfest und viel Spaß mit der folgenden kleinen Geschichte.
Zufrieden prüfte Kurt die Schärfe seines Beils. Die letzten zehn Minuten hatte er fröhlich pfeifend damit zugebracht, es am Schleifstein zu wetzen. Jetzt hätte er vermutlich der frechen Katze von nebenan mühelos den Schädel spalten können, aber das musste warten. Nun sollte erst einmal das Karnickel dran glauben, um später als Braten auf dem Tisch zu landen. Seine Tochter würde zwar eine Woche lang heulen, aber Kurt konnte auf solche Sentimentalitäten keine Rücksicht nehmen. Zum Osterfest gehörte ein Hasenbraten auf den Tisch, basta. Und außerdem war das eine angemessene Strafe für ihr Fehlverhalten in letzter Zeit, das unbedingt Konsequenzen haben sollte. Mit selbstgefälligem Grinsen stolzierte er aus seinem Werkzeugschuppen und hielt dabei sein Beil in den Händen, als handelte es sich um ein kostbares Zepter.
Er konnte seine Vorfreude auf die anstehende Enthauptung des töchterlichen Haustiers kaum bremsen, als er den Gartenweg entlangschritt, der am Brunnen vorbei zum Hasenstall führte. Die Bewunderung für die Vorzüglichkeit seiner Arbeit am Schleifstein war es wohl, die ihn dabei unaufmerksam werden ließ: Plötzlich stolperte er und flog auf die Schnauze. Auch das Beil flog – und zwar direkt in den Brunnen.
»Mein Beil!«, heulte er verzweifelt auf, als er das Platschen aus dem Brunnen vernahm.
»Nein, das war mein Hintern. Pass doch auf, wo du hinlatschst, du Vollhonk!«
Kurt blickte sich erschrocken um und rappelte sich auf. Die verärgerte Stimme kam von einem großen Hasen, der offenbar zuvor am Weg gekniet hatte, sich nun ebenfalls auf die Hinterpfoten stellte und ihm missbilligend anblickte.
»Was machen Sie denn hier?!«, entfuhr es Kurt.
»Ich atme!«, rief der Hase empört und kniff die Augen zusammen. »Ist das dem werten Herrn recht? Gönnt er mir die Luft zum Atmen? Oder ist er ein Charakterschwein und würde mich einfach ersticken lassen?!«
»Äh… Nein, natürlich, atmen ist okay, aber … Wer sind Sie eigentlich?«
»Meine Freunde nennen mich Klopfer.«
»Aha, Klopfer, also …«
»SIE sind nicht mein Freund!«, unterbrach der Hase ihn scharf. »Sie können mich Meister nennen. Oder Generaldirektor.«
»Wovon sind Sie denn der Generaldirektor?«
»Von allem«, sagte der Hase selbstbewusst.
Kurt stutzte kurz und schüttelte dann den Kopf, als wolle er störende Gedanken loswerden.
»Und warum sind Sie in meinem Garten?«
»Ich verstecke Schokolade«, sagte Klopfer, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Erst jetzt bemerkte Kurt, dass neben dem großen Hasen ein ebenfalls ziemlich großer Sack auf dem Boden stand, offenbar gut gefüllt mit Süßigkeiten.
Kurt bekam große Augen. »Sind Sie der Osterhase?!«
»Nein, Prepper«, antwortete Klopfer. »Ich verstecke meine Vorräte in der Stadt, damit ich immer eine Notfallschokolade in Reichweite habe.«
Die Antwort erinnerte Kurt wieder an den Ärger, der eigentlich in ihm brodelte.
»Und das machen Sie ausgerechnet in meinem Garten?!«
»Sie denken in diesen bürgerlichen Kategorien wie ›meins‹ und ›deins‹, das sollten Sie sich abgewöhnen. So ein bourgeoises Denken führt nur dazu, dass Sie als Erstes an die Wand gestellt werden, wenn die ungewaschenen Massen sich erheben, um die Tyrannei des Kapitals abzustreifen!«, belehrte Klopfer den Mann.
»Oh, wenn Sie es so sagen … Können Sie mir dann was abgeben von der Schokolade? Sie haben doch so viel«, bat Kurt.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil’s meine ist«, antwortete Klopfer, als wäre das offensichtlich.
»Wenn das so ist, dann sollten Sie jetzt gehen! Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen zu beschäftigen, meine Frau wartet darauf, das Essen zubereiten zu können«, erinnerte sich Kurt ärgerlich.
»Schön, dass Sie mich einladen wollen, aber ich muss ablehnen«, erwiderte Klopfer bedauernd. »Der Sack leert sich nicht von allein, wissen Sie. Kann ja nicht jeder so ein Faulpelz wie Sie sein und nur ans Fressen denken.«
»Ich wollte Sie auch nicht einladen, ich will einfach nur, dass Sie verschwinden! Ach, was rede ich überhaupt mit einem riesigen Hasen?! Ich wollte einen kleinen Hasen schlachten und nun geht mir ein großer Hase auf den Sack!«, schimpfte Kurt.
Klopfer hob missbilligend eine Augenbraue.
»Sie wollen einen Hasen schlachten? Schämen Sie sich gar nicht?«
»Das geht Sie ja wohl einen feuchten Kehricht an, ob ich das Karnickel meiner Tochter schlachte!«
»Wäre es Ihnen etwa egal, wenn ich einen Menschen zerhacken würde?«
»Das ist doch … Ach, lecken Sie mich doch, ich muss mich vor Ihnen nicht rechtfertigen«, schrie Kurt.
»Aber denken Sie gar nicht an Ihre kleine Tochter? Die unschuldigen Kinderaugen voller bitterer Tränen, wenn das Kind erfährt, dass Sie einfach ihren flauschigen Freund umgebracht und aufgefressen haben?«, appellierte Klopfer an Kurts Gewissen.
»Quatsch, von wegen kleines Kind! Die ist erwachsen! Und überhaupt nicht unschuldig, die zeigt ihre Titten und ihren Arsch im Internet und lässt sich von notgeilen Kerlen dafür bezahlen! Eine Schande für die Familie ist das verkommene Luder!«, schimpfte Kurt und bemerkte gar nicht, dass sich ein Ohr von Klopfer aufrichtete und in seinen Augen ein keckes Funkeln zeigte.
»Ach so, tut sie das? Aber da kann ja ihr Kaninchen nichts dafür, oder?«
»Scheißegal! Ich lasse mir meinen Braten nicht verderben, und das kleine Flittchen kann froh sein, dass sie nur ihren Hasen aufgeben muss! Ich hätte dieses verdorbene Stück schon längst rausgeschmissen, wenn nicht ihre Mutter … Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich, das geht Sie ja nun wohl noch weniger an!«, polterte Kurt.
»Ich habe Sie nicht gezwungen, mir Ihr Herz auszuschütten, aber ich kann nachvollziehen, warum Ihnen sonst keiner zuhören will«, überlegte Klopfer.
»Hallo? Ist jemand da?«, tönte eine Männerstimme hinter der Laube hervor, wo sich der Eingang des Gartens befand.
Bevor Kurt noch richtig registrieren konnte, wer da nun gesprochen hatte, seufzte Klopfer und nickte ihm entschuldigend zu.
»Sie haben recht, ich hätte mich nicht einmischen sollen. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Hier, nehmen Sie meine Schokolade, mit schönen Grüßen an Ihre Frau und an Ihre Tochter«, sagte Klopfer mit gönnerhaftem Lächeln und drückte dem verdutzten Kurt den Sack in die Hände.
»Hallo, haben Sie uns nicht gehört?!«
Hinter der Laube traten zwei Polizisten hervor, die etwas grimmig auf den Hasen und den grobschlächtigen Mann blickten.
»Was wollen Sie denn?«, platzte es aus dem Gartenbesitzer hervor. Erst ein großer, sprechender Hase und nun auch noch die Polizei, das war etwas viel für einen Ostersonntag, der so geruhsam begonnen hatte.
»Wir untersuchen einen schweren Diebstahl hier in der Nähe. Ein Laster ist in der Kurve umgekippt, und irgendwer hat einen Teil der Ladung geklaut, die auf die Fahrbahn gefallen war. Haben Sie etwas davon mitgekriegt?«
»Nein, was kümmern mich irgendwelche Laster. Was wurde denn überhaupt gestohlen?«, grummelte Kurt.
»Schokolade. Bestimmt um die zwanzig Kilo«, antwortete der Polizist.
»Ich glaube, der Herr hat ziemlich viel Schokolade in diesem Sack«, meldete sich Klopfer hilfreich zu Wort.
Kurt blickte erschrocken auf den Sack in seinen Händen und ließ ihn fallen.
»Den hat mir doch dieser Hase hier gerade erst gegeben!«
»Das ist eine haltlose Unterstellung!«, rief Klopfer.
Die Polizisten schauten unsicher von einem zum anderen.
»Ich muss zugeben, der Hase passt eher auf die Beschreibung des Täters. Der soll recht pelzig gewirkt haben«, meinte der eine Beamte schließlich.
»Sie wissen selbst, wie unsicher Zeugenaussagen sind«, gab Klopfer zu bedenken.
»Vielleicht sollten wir erst einmal die Personalien aufnehmen«, schlug der andere Polizist vor. »Haben Sie einen Personalausweis parat?«
Kurt kramte widerwillig seinen Ausweis aus der Hose.
»Kurt Bösmann, Okolytenweg 11«, las der eine Polizist vor, während der andere mitschrieb.
»Bösmann! Nomen est omen!«, fühlte sich Klopfer bestätigt.
»Und was ist mit Ihnen? Kein Ausweis dabei?«
»Kennen Sie ein Bürgeramt, das einem Hasen einen Personalausweis ausstellt?«, fragte Klopfer seelenruhig.
»Auch wieder wahr«, stöhnte der Beamte. »Wohnen Sie hier?«
»Ach was!«, mischte sich Kurt ein. »Das ist mein Garten!«
»Sehen Sie?«, rief Klopfer. »Er hat die Schokolade geklaut und ist sofort in seinen Garten gelaufen. Würde mich nicht wundern, wenn er versucht hätte, die hier zu verstecken!«
»So ein Unsinn, die Schokolade hat der Hase hier versteckt!«, verteidigte sich Kurt.
»Was sagen Sie dazu?«, wandte sich der Polizist an Klopfer.
»Das nehmen Sie doch nicht ernst, oder? Ein Hase, der zu Ostern in wildfremden Gärten Schokolade versteckt? Sie sind doch sicher um die 40, glauben Sie wirklich noch an so etwas?«, streute Klopfer Zweifel.
»Und was machen Sie dann hier?«
»Ich kämpfe für die Gerechtigkeit!«, erklärte Klopfer. »Ich war vorhin vollkommen gesetzestreu unterwegs, und während ich gerade absolut legal die Straße entlanglief, fiel mir dieser Sack auf. Und auf dem Rücken trug er diesen riesigen Beutel. Das fand ich natürlich verdächtig, also habe ich ihn bis hierher verfolgt.«
»Das ist doch von vorne bis hinten gelogen!«, brüllte Kurt.
»Dieser Mann bedrohte mich dann mit einem Beil«, führte Klopfer weiter aus, »doch als er Sie hörte, warf er es schnell in den Brunnen dort. Sie können nachschauen, dann merken Sie, dass ich nichts als die reine Wahrheit sage!«
»Das werden wir überprüfen!«, sagte der Polizist streng.
Kurt schaute panisch drein.
»Aber das war doch alles ganz anders!«, beteuerte er. »Auf der Schokolade sind doch nicht einmal meine Fingerabdrücke!«
»Apropos Fingerabdrücke: Wussten Sie, dass sich die Fingerabdrücke von Koalabären und Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen?«, warf Klopfer ein.
»Äh, interessant, aber das hat doch jetzt nichts mit unserem Fall zu tun«, erwiderte der zweite Polizist.
»Moment, das ist noch nicht gesagt!«, unterbrach Klopfer ihn. »Wir sind uns also einig, dass es schwierig ist, einen Koala von einem Menschen zu unterscheiden. Der Täter soll angeblich pelzig gewesen sein, und wer trägt Pelz? Ein Koala. Demnach könnte dieser Mann dort ein Koala sein – und genau der Täter, den Sie suchen!«
»Ich bin mir nicht sicher, ob diese Schlussfolgerung so korrekt ist«, stammelte der verwirrte Polizist.
»Wieso, sehen Sie hier etwa noch einen anderen Koala?«
»Nein, Sie haben recht. Da ist nur er.«
»Ich bin kein Koala!«, motzte Kurt empört.
»Genau das, was ein Koala sagen würde, der weiß, dass man ihm auf der Spur ist!«, betonte Klopfer. »Ich denke, damit ist die Sache klar. Nehmen Sie ihn fest!«
»Jawohl, das klingt einleuchtend. Kommen Sie bitte friedlich mit, Herr Bösmann. Falls das überhaupt Ihr richtiger Name ist …«
Als Klopfer den beiden Polizisten und ihrem Gefangenen hinterher blickte, hatte er für einen kurzen Moment das Gefühl, eine Rauchwolke über Kurts Kopf wahrnehmen zu können. Als er den Streifenwagen wegfahren hörte, zuckte er kurz seufzend mit den Schultern. Der Sack mit der Schokolade war verloren, und selbst die Suche nach den schon versteckten Süßigkeiten sollte er lieber der Spurensicherung der Polizei überlassen.
Eine neue Idee formte sich in seinem Kopf. Noch bestand die Chance auf ein sehr schönes Osterfest für ihn. Vergnügt hoppelte er zum Hasenstall und holte das Kaninchen heraus.
»So, mein Lieber, wir gehen jetzt zu deinem freizügigen Frauchen und du wirst ihr voller Leidenschaft erzählen, wie heldenhaft ich dich vor dem sicheren Tod gerettet habe, okay?«
Ich hoffe, diese Anekdote hat euch gefallen. Kommentare sind sehr erwünscht!
Statusbericht nebenbei: Es ist jetzt noch ein einziges gedrucktes Exemplar von "Böses Hasi" im Buchshop vorhanden. Und die Erinnerung: "Sexpanzer und Babytod" wird nur noch bis Ende Mai gedruckt im regulären Buchhandel erhältlich sein! In meinem Buchshop sind noch 14 Exemplare da, wer weiß, wie lange die reichen.)
Mitglied
Ein frohes Osterfest dem Oberhasen und allen seinen Anhängern!