Klopfer und die Verkehrswende
Es hatten sich einige Leute gewünscht, dass ich mal meine Gedanken zur Verkehrswende aufschreibe. Na gut, dann mach ich das mal und erschlage nebenbei noch die Energiewende.
Bei der Verkehrswende geht es darum, den Verkehr klimafreundlicher zu gestalten. Wesentliche Punkte dabei sind, Leute von Verbrennern hin zu anderen Verkehrsmitteln (Fahrrad, ÖPNV) oder zu Elektrofahrzeugen zu lenken. Allerdings scheint es derzeit kein übergeordnetes Konzept zu geben, um das wirklich intelligent umzusetzen, stattdessen sucht man sich (mehr oder weniger willkürlich) gewisse Bereiche aus und versucht dann dort, mit der Brechstange Ergebnisse zu erzielen.
Fangen wir mal mit den anderen Verkehrsmitteln an. Wenn man den Grünen hier in Berlin glaubt, ist das Fahrrad das Allheilmittel. Das glaube ich eher nicht. Selbst mit Radschnellwegen und sonstiger Infrastruktur wollen sicherlich nicht viele Leute vom Stadtrand in die Stadtmitte radeln, wenn sie dort tatsächlich was zu tun haben. Räder sind nicht bequem, nach längeren Strecken tut der Hintern weh, man schwitzt und hat das Blut von arglosen Fußgängern am Hemd, weil ein typischer Radfahrer in Berlin wie ein Henker fährt. (Alles, was Radfahrer den Autofahrern vorwerfen, machen sie selbst mit Fußgängern.) Transport von größeren Einkäufen ist schwierig (gerade bei recht typischen Wocheneinkäufen, die man bei Kaufland in der Pampa tätigt). Es gibt zwar Lastenfahrräder, die sogar vom Senat gefördert werden, aber da ist auch wieder die Strecke ein Problem. Angesichts der Pleitewelle bei Leihfahrradanbietern scheinen die restlichen Berliner mir zuzustimmen, dass Fahrräder nicht so beliebt sind, wie sich manche der Regierenden hier wünschen. (Außer bei Dieben vielleicht.)
Ich selbst benutze den ÖPNV. Leute vom Pkw auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu locken, hat (gerade in größeren Städten) einen gewaltigen Haken, der auch begründet, wieso BVG und andere Verkehrsbetriebe es ablehnen, den ÖPNV für Fahrgäste kostenlos zu machen: Die öffentlichen Verkehrsmittel haben gar nicht das Problem, dass sie zu wenig gefragt wären. Ganz im Gegenteil, gerade in Berlin sind kaum mehr freie Kapazitäten vorhanden, man fährt ständig an der Belastungsgrenze. Es fehlt an Fahrzeugen, es fehlt an Fahrern, und eigentlich müssten noch viel mehr Straßenbahn- und U-Bahn-Strecken gebaut werden (für die es allerdings auch an Fahrzeugen und Fahrern fehlt). In den 80er Jahren war Berlin mal ein Technologieführer in der Erprobung von selbstfahrenden U-Bahnen, davon ist aber nichts mehr übrig, und vermutlich würde schon der öffentlich ausgedrückte Gedanke, dass man überlege, an Technologien zu arbeiten, die Fahrer überflüssig machen könnten, zu heftigen Protesten führen. Das allerdings wird für einen erfolgreichen Ausbau des ÖPNV langfristig nicht zu vermeiden sein.
Auch außerhalb von städtischen Speckgürteln sieht es düster aus: Die Bahnstrecken sind am Limit, weswegen ja auch ein verspäteter Zug gleich einen ganzen Rattenschwanz an Verspätungen bei anderen Zügen auf derselben Strecke nach sich zieht. Oft könnte der Güterfernverkehr gar nicht auf die Schiene umgelagert werden, weil dort gar nicht die nötigen Kapazitäten frei sind. Manche Bahnstrecken oder Bahnhöfe existieren gar nicht mehr, weil sie im Zuge von Sparmaßnahmen vom Netz abgeklemmt wurden. So treibt man die Leute, die dort leben, natürlich eher zum Auto (insbesondere, wenn der ÖPNV aus einer Busverbindung besteht, die gerade zweimal am Tag bedient wird). Ergo: Auch das Bahnnetz müsste in einem nationalen Kraftakt erneuert werden.
Ob regional oder überregional: Die nötigen Investitionen wären durch die Verkehrsbetriebe allein wohl kaum zu stemmen (mal davon abgesehen, dass wieder Hunderte Bürgerinitiativen gegen so einen Ausbau wären), dummerweise verkomplizieren EU-Vorgaben aber auch die Subventionierung solcher Vorhaben, weil ab einem gewissen Auftragsvolumen oder Förderlaufzeiten die Betreiberlizenz europaweit ausgeschrieben werden müsste, anstatt sie einfach an die vorhandenen Verkehrsbetriebe zu geben, was einerseits Zeit raubt und andererseits eine Balkanisierung der öffentlichen Verkehrsmittel herausfordert.
Bleibt noch der angestrebte Umstieg auf Elektrofahrzeuge. Ich glaube, dass in mittlerer Zukunft tatsächlich der Großteil der Fahrzeuge elektrisch angetrieben wird. Ob das über Akkus oder über Brennstoffzellen passieren wird, darüber wage ich keine Vorhersage. So eine Umwälzung wird natürlich Konsequenzen in der Auto-Industrie haben. Elektromotoren sind viel einfacher aufgebaut, ebenso die Getriebe, also wird man dort weniger Mitarbeiter benötigen, um den gleichen Bedarf zu decken (selbst wenn man einberechnet, dass viele Elektrofahrzeuge zwei E-Motoren haben, die je nach Geschwindigkeit unterschiedlich effizient sind). Und bestimmte Zulieferer werden ganz unnötig werden, weil ihre Teile in E-Fahrzeugen nicht mehr gebraucht werden, etwa bei Benzintanks. Das hat soziale Auswirkungen, die man abfedern muss, ansonsten rebelliert die Arbeiterklasse und stellt die Eliten an die Wand. Da fürchte ich auch um mein Leben, weil ich so eine elitäre Aura habe.
Wenn es um die Auswirkungen auf das Klima geht, sollte man auch die Ökobilanz der Herstellung einberechnen. Gerade die Herstellung der großen Akkus von Elektrofahrzeugen sorgt für eine große Kohlendioxidbelastung, bevor die Fahrzeuge nur einen Meter gefahren sind. Volkswagen hat berechnet (ja, ich weiß), dass ein E-Golf erst nach 100.000 Kilometern in der CO2-Bilanz vor einem ansonsten gleichwertigen Diesel-Golf liegt. Diesel stoßen weniger CO2 aus als Benziner mit äquivalenter Motorisierung, weswegen viele Autohersteller jetzt Probleme haben, wenn sie dem Diesel abschwören, weil ihr Gesamtangebot nun die angestrebten CO2-Flottengrenzen nicht mehr einhält. (In der Praxis ist im Durchschnitt der Pkw gerechnet der Abstand geringer, weil Diesel-Fahrzeuge oft schwerer und stärker motorisiert sind als die Benziner.)
Es macht also jetzt wenig Sinn für den Kampf gegen den Klimawandel, mit harten Dieselfahrverboten relativ junge Dieselautos aus dem Verkehr zu ziehen, wenn die dann durch Benziner ersetzt werden, weil nicht genug E-Fahrzeuge zur Verfügung stehen oder sie viel zu teuer sind. Die Dieselfahrverbote sind natürlich nicht wegen des CO2-Ausstoßes im Gespräch, sondern wegen der Emission von Stickoxiden. Warum stoßen die modernen Dieselmotoren aber so viele Stickoxide aus? Unter anderem wegen der Feinstaubgrenzen. Die Autohersteller lassen die Dieselmotoren heutzutage heißer laufen, damit der Kraftstoff besser verbrannt wird und weniger Rußpartikel ausgestoßen werden. Diese Maßnahme sorgt aber auch für den höheren Ausstoß an Stickoxiden. Man hat sich für eines entschieden, um anderes zu verringern.
Nun entsteht Feinstaub aber nicht nur in den Motoren, im Gegenteil. Ein sehr großer Teil des Feinstaubs besteht aus dem Abrieb von Reifen und Bremsbelägen. Auch Elektroautos emittieren Feinstaub. Es gibt bei ihnen weniger Abrieb der Bremsbeläge, aber gerade batteriebetriebene Elektroautos sind sehr schwer, weswegen die Reifen beim Fahren mehr belastet werden, wodurch deutlich mehr Reifenabrieb produziert wird.
Es gibt also nicht die eierlegende Wollmilchsau unter den Fahrzeugen, und man wird sich entscheiden müssen, was wichtiger ist: die Vermeidung von CO2, Feinstaub oder Stickoxiden? Wenn der Kampf gegen den Klimawandel Priorität hat, sollte die Vermeidung von CO2-Emissionen an erster Stelle stehen. (Zynisch könnte man ebenfalls anmerken, dass indirekt auch was fürs Klima getan wird, wenn Leute wegen Feinstaub oder Stickoxiden früher sterben. Und mindestens zehn Prozent davon sind sowieso Arschlöcher, so wie im Bevölkerungsdurchschnitt.)
Was klar ist: Der Energiebedarf in Deutschland wird sich dahin verschieben, dass ein noch größerer Anteil auf Elektrizität entfällt, womit wir direkt einen Bogen zur Energiewende schlagen, die wir gerade verkacken. Wir haben es geschafft, den zweitteuersten Strom in Europa zu kriegen, und wir stoßen immer noch für die Stromerzeugung viel CO2 aus. Aber was schalten wir zuerst ab? Kernkraftwerke. Solche Kernkraftwerke, mit denen Frankreich dafür sorgt, dass dort pro Kopf nur halb so viel CO2 ausgestoßen wird, und das bei wesentlich geringeren Strompreisen.
Photovoltaik und Windkraft haben natürlich das Problem, dass sie von der Witterung abhängig und somit nicht grundlastfähig sind, man sich also nicht darauf verlassen kann, dass sie den Mindestbedarf an Strom decken. Ein dummer Praktikant vom Umweltministerium kann zwar auf Twitter schreiben, dass es Grundlast in Zukunft gar nicht mehr gäbe, aber dass das Quatsch ist, leuchtet einem schon bei Privathaushalten ein, da in jedem Haushalt ein Kühlschrank ununterbrochen läuft und somit immer Strom verbraucht. Dass diese erneuerbaren Energien nicht genug Strom liefern, ist auch keine bloße Theorie: Erst Ende Mai hatten wir die Situation, dass wir beträchtliche Mengen Strom aus dem Ausland importieren mussten, weil Photovoltaik so gut wie nichts und Windkraft zu wenig Strom geliefert hat. Der importierte Strom kam zum beträchtlichen Teil aus französischen und tschechischen Kernkraftwerken.
Klar: Wenn man große Flächen mit Windkraftanlagen und Solarzellen zupflastert, könnte sich ein geringer Ertrag pro Anlage zu einer beträchtlichen Strommenge summieren, die unseren Bedarf deckt. Allerdings haben wir dann das umgekehrte Problem, wenn dann mal die Sonne scheint oder der Wind wirklich kräftig weht, denn dann produzieren all diese Anlagen viel zu viel Strom, der in die Netze drückt und sie zu überlasten droht. Man kann das mit einem Wasserhahn vergleichen, der entweder nur tröpfchenweise Wasser liefert oder aber mit Hochdruck ganze Fluten herausschießt, aber selten irgendwas dazwischen.
Jetzt ruhen ja viele Hoffnungen darauf, dass man den Strom zu überschüssigen Zeiten speichert, damit man in Flauten genug hat, um den Bedarf zu decken. Allerdings sind da die Möglichkeiten auch sehr begrenzt. Pumpspeicherkraftwerke benötigen gewisse geografische Voraussetzungen und können nicht überall gebaut werden, zudem stehen Bürgerinitiativen dem oft entgegen, gerade auch wegen Umweltbedenken, weil dabei ja viel Landschaft überflutet wird. Das Pumpspeicherkraftwerk Atdorf in Baden-Württemberg wäre das größte in Europa geworden, wurde aber nach mehreren Jahren der Planung aufgegeben.
Den überschüssigen Strom zu nutzen, um Wasserstoff zu erzeugen, der dann zum Beispiel für Brennstoffzellen verwendet werden kann, ist ebenfalls eine Möglichkeit, die aber ganz eigene Gefahren birgt, man schaue nur auf die Hindenburg. Deswegen habe ich meine Zweifel, dass es da wesentlich weniger Bürgerinitiativen gegen den Bau derartiger Anlagen geben wird als bei Pumpspeicherkraftwerken.
Groß gehypt werden stattdessen Batteriespeicher, gerne auch als Möglichkeit, um alte Akkus aus Elektrofahrzeugen weiter zu verwenden. Diese auf den ersten Blick erfolgversprechende Idee erweist sich aber als Luftnummer, wenn man sich mal die bereits existierenden Projekte anschaut. Teslas größter Batteriestromspeicher steht in Australien. Er kann 129 Megawattstunden Strom speichern. Klingt viel? Ein moderner Kernreaktor erzeugt so viel Strom in fünf bis sechs Minuten. Wie viel Ressourcen und Platz will man für solche Speicher opfern, um etwa genug Strom zu speichern, um das Land auch nur eine windstille Nacht lang versorgen zu können? Forscher haben mal berechnet, welche Speicherkapazitäten Deutschland bräuchte, um 2050 allein die jahreszeitlichen Schwankungen in der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien auszugleichen. Sie kamen auf 33 Terawattstunden. Allein die Batterien dafür würden ein Volumen von 27 Kubikkilometern füllen. Das wäre ein Würfel so hoch wie die Zugspitze.
Dazu kommt, dass die Akkus ja auch mit jedem Ladezyklus altern und daher nach einigen Jahren ausgetauscht werden müssen, der Großteil der Kosten für solche Stromspeicher also alle paar Jahre erneut anfällt.
Natürlich kann man hoffen, dass es in der nächsten Zeit noch einen Durchbruch gibt, der etwa die Energiedichte von solchen Batterien um mindestens eine Größenordnung erhöht (was ich persönlich für unwahrscheinlich halte), aber selbst dann würde es mindestens noch zehn Jahre bis zur Industriereife dauern und wenigstens in den ersten Jahrzehnten noch irrsinnig teuer sein.
Die Unzuverlässigkeit von Windkraft und Photovoltaik können wir also nicht wesentlich abfedern. Das Resultat: Die gleiche Versorgungskapazität muss noch einmal in konventioneller Form als Reserve vorgehalten werden. Schon jetzt verbietet die Bundesnetzagentur Stromkonzernen, bestimmte Kraftwerke zu schließen, weil diese als systemrelevant angesehen werden, um im Notfall Strom zu liefern. Das Problem für die Eigentümer: Die Kraftwerke verdienen kein Geld, wenn sie nur rumstehen und nicht laufen, aber die Wartung und ständige Betriebsbereitschaft verursachen natürlich Kosten. Als Reserve lohnen sie sich somit wirtschaftlich eigentlich nicht. Wer die Kosten am Ende tragen muss? Der Stromkunde, also wir.
Wie ich bereits erwähnt habe, glaube ich, dass wir es ohne Kernkraft nicht schaffen werden, die CO2-Emissionen für die Energieversorgung drastisch zu reduzieren. (Modelle der EU-Kommission gehen davon aus, dass Europa die Klimaziele bis 2050 nur einhalten kann, wenn a) nukleare Energiegewinnung ausgebaut wird oder b) CO2 aus Kohle- und Gaskraftwerken abgeschieden und sicher gespeichert werden kann, diese Kraftwerke also weiter am Netz bleiben.) Wenn wir die Gefahr des Klimawandels so ernst nehmen, wie es sich die Teilnehmer an den „Fridays for Future“-Demos wünschen, müssten wir sofort den Wiedereinstieg in die Kernenergie beschließen. Mit 500 Milliarden Euro könnten wir wahrscheinlich die Verstromung von Kohle und Gas komplett beenden, selbst wenn in Zukunft sämtlicher Verkehr auf Elektrizität angewiesen sein sollte. Teuer? Der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2050 wird nach Schätzungen, die im SPIEGEL zitiert wurden, dagegen bis zu 3,4 Billionen Euro kosten. Für die Förderung erneuerbarer Energien geben wir pro Jahr derzeit 32 Milliarden Euro aus.
Natürlich weiß ich, dass Kernkraftwerke ungefähr so beliebt sind wie eine Krebserkrankung, aber es empfiehlt sich ein nüchterner Blick auf die tatsächlichen Risiken. Kernkraftwerke sind sehr sicher (gerade neue Kraftwerke mit erweiterten Sicherheitskonzepten), weswegen man die tödlichen Unfälle der letzten 50 Jahre an einer Hand abzählen kann, bringen pro kWh die wenigsten Menschen um und stoßen im regulären Betrieb weniger Radioaktivität aus als Kohlekraftwerke. Kernenergie hat vermutlich 1,8 Millionen Todesfälle verhindert. Modernste Kraftwerkkonzepte eröffnen die Möglichkeit, vorhandenen Atommüll als Brennstoff zu verwenden, aber selbst wenn das erst mal nicht geht, haben wir das Endlagerproblem so oder so, auch mit Atomausstieg. Anders als von Kernkraftgegnern oft behauptet, werden die Kosten für den Rückbau von Kernkraftwerken nicht vom Steuerzahler getragen; die Betreiber müssen dafür finanzielle Rücklagen bilden. Und auch für die Lagerung des Atommülls zahlen die Betreiber – wenn es dann teurer wird, ist das allein die Schuld der Politik, die die Einrichtung von Endlagern verzögert (und die Betreiber ja auch erst gezwungen hat, die Verantwortung für den Atommüll nicht selbst zu übernehmen).
Der Klimawandel beeinflusst den ganzen Planeten, ein Kernkraftwerk nicht, selbst bei einer Havarie. Deswegen sehe ich derzeit keine sinnvolle Alternative zur Kernkraft, um den menschlichen Einfluss auf das Klima zu reduzieren. Aber wen soll man wählen, wenn man dieser Meinung ist?