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Heilung unerwünscht

Genforscher in den USA haben es geschafft, menschliche Embryonen so zu erzeugen, dass in diesen Embryonen eine Erbkrankheit geheilt wurde, die durch einen einzigen Gendefekt hervorgerufen werden kann, recht verbreitet ist und eine Herzschwäche auslöst. So etwas wurde schon mehrfach versucht, allerdings hatte man vorher immer probiert, die Gene nach der Befruchtung zu verändern, hier aber injizierte man die „Genschere“ zusammen mit dem erbgutgeschädigten Sperma in die Eizelle. Die Embryonen wären danach prinzipiell lebensfähig gewesen, das ist eine Premiere. (Wer mehr über diese Methode wissen will: Kurzgesagt hat vor etwa einem Jahr ein gutes Video dazu gemacht.)

So weit, so beeindruckend. Aber die Kommentare bei dem oben verlinkten Artikel dürften für den deutschen Sprachraum typisch sein: voller Jammer und Wehklagen über mögliche Designerbabys, die furchtbaren Eingriffe in die Natur (inklusive „die Natur wird sich bei Erbkrankheiten schon etwas gedacht haben“-Gehirnakrobatik) und die deutliche Anklage, nun würde der Mensch in seine Evolution eingreifen.

Nur: Der Mensch greift sowieso schon lange in seine Evolution ein. Dass wir Frühchen oder Babys, die viel zu leicht sind, in Inkubatoren stecken, damit sie die ersten Wochen überleben, ist ein Eingriff in die Evolution – und ich bin dankbar dafür, denn ich war eines dieser Babys. Dass Diabeteskranke Insulin kriegen, um trotz ihrer Krankheit längere Zeit zu überleben, ist ein Eingriff in die Evolution. Hörgeräte und Brillen sind Eingriffe in die Evolution, ebenso wie Sonnencreme und Impfungen.

Natürlich könnte diese CRISPR-Technik auch missbraucht werden. Aber für welche Technologie gilt das nicht? Sollte man sie deswegen gleich gar nicht einsetzen, obwohl wir damit vermutlich viel Leid und Schmerzen für viele Betroffene verhindern könnten, ob nun Leute mit Gendefekten selbst oder ihre Angehörigen? Hätten wir nicht eigentlich eine moralische Pflicht dazu? Das gilt generell für die Gentechnik, „Golden Rice“ könnte einige Mängelerscheinungen in der Dritten Welt beseitigen, aber viele sind dagegen, weil sie grundsätzlich Gentechnik ablehnen.

Ein bisschen verlogen finde ich die Angst vor Designerbabys auch: Schließlich leben wir auch in einer Gesellschaft, in der Eltern ohne mit der Wimper zu zucken ihre Vierjährigen in Englisch-Sprachkurse stecken oder Schulkinder trotz einem Notenschnitt zwischen 1 und 2 zur Nachhilfe schleifen. Die Optimierung unserer Kinder nach der Geburt ist also voll okay, aber vorher nicht?

Der eigentliche Grund, weshalb ich diesen Text aber schreibe, ist die zeitliche Nähe zu dem Theater um das englische Baby Charlie Gard. Charlie hatte einen Gendefekt, der dafür sorgte, dass sein Gehirn nicht ausreichend versorgt werden konnte, was zu Hirnschäden führte. Diese Krankheit ist selten und nicht heilbar. Die Ärzte in dem (sehr renommierten) britischen Kinderkrankenhaus kamen zu dem Schluss, dass dem Kind nicht mehr zu helfen wäre und man es deswegen lieber sterben lassen sollte, um ihm weitere Schmerzen zu ersparen. Ein amerikanischer Arzt, der den Jungen nie gesehen, nie untersucht hat und auch keinen Einblick in seine Krankenakten hatte, versprach den Eltern allerdings eine Heilungschance von 10 Prozent, wenn sie eine von ihm durchgeführte (und sehr teure) Therapie bezahlen würden, die noch nie erfolgreich bei dieser Krankheit mit diesem schweren Verlauf wie bei Charlie durchgeführt wurde. Die britischen Ärzte waren (verständlicherweise) der Meinung, dass das sinnlos wäre und das Leiden des Kindes nur verlängern würde, und es gab diverse Gänge vor Gericht, ob die Geräte nun abgeschaltet werden dürften oder nicht, selbst gegen den Willen der Eltern. Selbst der Vatikan mischte sich ein – bekanntermaßen die erste Anlaufstelle, wenn es um biologische und medizinische Fragen geht. Die britischen Ärzte haben schließlich die Gerichtsverfahren gewonnen, und da inzwischen die Hirnschädigungen bei Charlie so sehr fortgeschritten waren, hatten die Eltern vor einigen Tagen ein Einsehen und ließen ihren Jungen gehen.

Die Kommentare bei Charlie-Artikeln waren vollkommen anders als bei dem über die Genmanipulation. Plötzlich waren die Ärzte, die den Jungen sterben lassen wollten, absolute Unholde, weil es doch schließlich ihre Pflicht wäre, jede noch so chancenlose Behandlung zuzulassen, wenn die Eltern es wünschen, selbst wenn der Kleine dabei sinnlose Schmerzen erleiden würde. Da hat niemand was von Eingriffen in die Natur gesagt. Niemand war der Meinung, dass im Sinne der natürlichen Evolution des Menschen Charlie am besten gleich bei der Geburt hätte ersäuft werden müssen.

Meine Vermutung ist allerdings: Wenn es nicht um ein konkretes Kind gegangen wäre und ein amerikanischer Arzt einfach laut um die Erlaubnis gefragt hätte, seine experimentelle Therapie mit 90 Prozent Fehlschlagwahrscheinlichkeit an Kindern auszuprobieren, wäre dann doch ein Aufschrei durch die Bevölkerung gegangen. Denn das wäre ja wieder ein Beweis für die Eiseskälte der Technokraten, die dem Fortschritt alles opfern wollen.

Man sollte Gefahren neuer Technologien natürlich nicht ignorieren, aber ich diagnostiziere bei uns Deutschen eine Technikphobie, die uns inzwischen auch ökonomisch lähmt. Werfen wir mal einen Blick in die Geschichte: Bei den ersten Eisenbahnen waren Menschen der Meinung, die Passagiere wären bei rasenden Geschwindigkeiten von 30 Kilometern in der Stunde nicht mehr in der Lage zu atmen. Trotzdem baute man die Eisenbahnen. Heutzutage würde ich dafür meine Hand nicht ins Feuer legen, wenn sie eine neue Erfindung wären. Oder nehmen wir Automobile, die bei uns in Deutschland immerhin eine Kernindustrie hervorgebracht haben, die wie kaum eine andere weltweit für Qualität, Fortschritt und eine geradezu entwaffnende Integrität und Aufrichtigkeit steht. Aber Motoren, die von Explosionen angetrieben werden? Autos, die (von Normalbürgern) mit giftigen und brennbaren Flüssigkeiten betankt werden? Und die dann auch noch mit großen Geschwindigkeiten unterwegs sind, nicht gelenkt von Schienen, sondern von oben erwähnten Normalbürgern? Bei der Übermacht der Bedenkenträger hätte der motorisierte Individualverkehr heute überhaupt keine Chance, realisiert zu werden. Flugzeuge wären auch tabu, denn die könnten ja vom Himmel fallen, und zwar auf die Köpfe von kleinen Hundebabys. Fotokameras für jeden? Undenkbar, die könnten ja von Spannern und Kinderpornografen benutzt werden. Ein beträchtlicher Teil der Deutschen scheißt sich ja schon in die Hose bei der Vorstellung, dass jemand im Internet das schreiben könnte, was er tatsächlich denkt.

Kein Wunder, dass einflussreichere Ideen, die tatsächlich etwas bewegen könnten, bei uns so gut wie gar keine Chance haben, denn alles, was keine eierlegende Wollmilchsau ohne jeglichen Nachteil für irgendjemanden ist, wird sofort von Bedenkenträgern, Bürgerinitiativen, Vereinen und Verbänden totgequatscht, weil wir inzwischen verlernt haben, Vor- und Nachteile nüchtern abzuwägen und einfach mal damit zu leben, dass nicht alle zufrieden sein können, aber die Vorteile für die Gesellschaft insgesamt zu groß sind, um darauf zu verzichten.

Vermutlich liegt es auch daran, dass die meisten bei uns satt in einem relativen Wohlstand leben, mit dem sie zufrieden sind und deswegen gar keine Verbesserung ersehnen. Wenn man keinen Gewinn für sich sieht, werden die Risiken natürlich umso erschreckender. Das Problem dabei: Unser Wohlstand heutzutage basiert auf der Risikofreude, die wir früher gezeigt haben, und das wird nicht ewig Früchte tragen. Irgendwann müssen wir wie unsere Vorfahren auch Mut haben, neue Ideen auszuprobieren und neue Technologien zu entwickeln. Die Herausforderungen, denen wir entgegenblicken, werden wir nur meistern können, indem wir die Courage haben, etwas von dem umzusetzen, was unser Geist hervorbringt. Und damit meine ich etwas Besseres als Fidget-Spinner.

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