Feuchtgebiete
Es gibt ein Buch, das kostet etwas weniger als 15 Euro, hat etwas über 200 Seiten, und es hat sich über eine Million mal verkauft. Wider Erwarten ist es nicht "Böses Hasi!", sondern Charlotte Roches "Feuchtgebiete", welches in der Öffentlichkeit teils mit Entsetzen, teils mit überschwänglichem Enthusiasmus bedacht wurde. Es ist immer schön, wenn man seinen Neid auf den Erfolg anderer mit echter Kritik auspolstern kann, also habe ich mir vorgenommen, diesen Roman mal auseinander zu nehmen. Und ich möchte hiermit verkünden, dass ich bisher kein Buch gelesen habe, welches mich so zum Würgen bringen konnte wie Charlotte Roches Erstlingswerk. Auch irgendwie eine Leistung.
Die Handlung nimmt nicht viel Raum im Buch ein: Die junge Helen Memel hat sich beim Rasieren ihres Hinterns die Poperze eingerissen und muss deswegen ins Krankenhaus, wo man ihr gleich noch die herangezüchteten Hämorriden wegschnippelt. Fortan liegt sie in ihrem Krankenzimmer mit freiem Hinterteil, damit das Desaster verheilen kann. Während sie über ihre sexuellen und hygienischen Gewohnheiten nachdenkt und sich mit dem Krankenpfleger Robin anfreundet, kommt ihr die Idee, ihre Eltern wieder zusammenzubringen. Dabei hofft sie, dass ihre Erzeuger wieder zusammenfinden, wenn sie sich in Sorge um ihrer Tochter im Krankenhaus begegnen. Außerdem erinnert sich Helen daran, wie ihre Mutter einmal sich und ihrem Bruder mit Tabletten und Gas das Leben nehmen wollte, was Helen nur durch Zufall verhindern konnte – aufgearbeitet wurde das jedoch in der Familie nie.
Als sich nach einiger Zeit immer noch kein Treffen zwischen den Eltern ergeben hat, aber die Entlassung von Helen aus der Klinik bevorsteht, verletzt sie sich selbst, in dem sie ihren Hintern an der Fußbremse ihres Krankenbettes aufreißt und so jede Menge Blut verliert. Doch selbst diese drastische Maßnahme einigt die Eltern nicht, und so entschließt sich Helen nach ihrer Genesung, bei Robin unterzuschlüpfen. Vorher jedoch bastelt sie in der Wohnung ihrer Mutter mit Kleidung, ihren Haaren und sonstigen Hilfsmitteln den Anblick nach, den Helen hatte, als sie an diesem einen Tag nach Hause kam und ihre Mutter und ihren Bruder ohnmächtig vorfand. Und auf der letzten Seite geht's noch mal kurz um Analsex mit Robin. Wie erotisch.
Wie ich schon angedeutet hab, wird ein Großteil des Buches mit Schilderungen der intimen Gewohnheiten von Helen verbracht. Obwohl, "Schilderung" ist als Wort nicht stark genug. Schon die ausufernde Beschreibung des "Blumenkohls" (Helens Kosename für ihre Hämorriden) und seiner Auswirkung auf ihren Geschlechtsverkehr am Anfang sollte eine Warnung für schwache Leser sein – es wird nicht besser. Dass Helen nicht viel Wert auf Hygiene legt, steht gleich am Anfang von Kapitel 2, kurz bevor sie erzählt, wie wenig sie sich die Möse wäscht, weil der Duft ja so toll sein soll. Anschließend schildert sie folgende Angewohnheit:
Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen. Ich wische sie auch vor dem Hinsetzen mit meiner Muschi in einer kunstvoll geschwungenen Hüftbewegung einmal komplett im Kreis sauber. Wenn ich mit der Muschi auf der Klobrille ansetze, gibt es ein schönes schmatzendes Geräusch und alle fremden Schamhaare, Tropfen, Flecken und Pfützen jeder Farbe und Konsistenz werden von meiner Muschi aufgesogen.
Lecker, oder? Das Mädel tupft sich ihre Säfte auch hinter die Ohren, um Kerle aufzureißen, und ich schätze, wenn ihre Typen wüssten, dass die Quelle des Duftes vorher noch über Klobrillen gewälzt wurde, würden sie Helen spontan in den Ausschnitt kotzen. Das hätte aber vermutlich den Effekt, dass sie sich das auch noch in den Mund stopft, denn anscheinend konsumiert sie wirklich fast alles, was der menschliche Körper so hervorbringt. Sie schildert nicht nur ausführlich, dass sie sich den Schleim aus der Mu baggert, um ihn zu mampfen, oder dass sie Spermareste unter den Fingernägeln bunkert, um einen Snack für den nächsten Tag zu haben. Nein, auch als sie das rausoperierte Stück aus ihrem Hintern befingert, lutscht sie sich die Griffel ab und schildert dabei ihre Angewohnheit, auch Mitesser und Eiter aus ausgequetschten Pickeln zu futtern. Später kommt auch Wundschorf dazu. Und die Speisung schließt auch Naseninhalte ein:
Immer, wenn ich pinkele oder kacke, esse ich meine Nase leer von Popeln. […] Wenn ich ein trockenes Stück Popel erwische und daran ziehe und damit in der Nase was in Bewegung setze und einen längeren Popelschleimklumpen hinterherziehen kann, macht mich das geil. Ähnlich wie bei dem Haar in der Muschi. Oder dem Krustenpollen am Schamhaar. Tut weh und geilt auf. Und alles das wandert in den Mund und wird langsam mit den Schneidezähnen zerkaut, damit ich es genau schmecken kann.
Falls Helen tatsächlich auf Charlotte Roche selbst basiert, tun mir alle Leute leid, die Zungenküsse mit der Frau ausgetauscht haben. Die Aktionen selbst sind ja gar nicht mal das schlimmste, sondern die perverse Detailfreude, mit der sie beschrieben werden und welche es extrem unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass irgendein Kerl es tatsächlich anregend finden würde, mit so einer Pottsau etwas anzufangen.
Helen hat aber auch noch eine andere Obsession, und das ist ein Kreuzzug gegen Hygiene. Sie hasst Hygiene nämlich, und das äußert sich nicht nur darin, dass sie mal ihre gebrauchten Tampons mit einer Freundin getauscht hat oder fremden Leuten einfach Essen anbieten würde, was auf dem Boden gelegen hat. (Dass da eventuell Partikel von Hundescheiße dran wären, wäre laut Helen egal, da die Hundescheiße ja nur verdautes Dosenfutter wäre und man selbst von löffelweise Hundescheiße nicht krank werden würde.) Nein, sie fummelt sich auch noch in den unmöglichsten Situationen ihren aus einer Mullbinde gedrehten Tampon raus und schmeißt ihn irgendwohin, um sich dann an dem Gedanken zu erfreuen, dass ihre Bakterien überall verbreitet werden.
Das wirklich Erstaunlichste daran ist aber nicht die Schilderung im Buch selbst, sondern die Interpretation mancher Kritikerinnen, die darin eine Rebellion gegen die Hygienehysterie und eine Emanzipation der Frau sehen und das Buch deswegen hochleben lassen. Wie könnte es auch anders sein. Ignaz Semmelweis hat vor über 160 Jahren in seiner Klinik die Ärzte angewiesen, sich gefälligst die Pfoten zu waschen, weil ständig Frauen und Kinder kurz nach der Geburt an Infektionen gestorben sind, die ihnen die Ärzte unabsichtlich mit ihren ungewaschenen Griffeln verpasst haben. Aber nein, das war ja offenbar nur ein Akt der Unterdrückung durch das Patriarchat. Semmelweis, dieses Machoschwein. Ich glaub, die Emanzipation hat ein dickes Problem, wenn sie jetzt schon gewisse Ansprüche an die Hygiene als Schlachtfeld für den Geschlechterkampf suchen muss. Es geht ja schließlich nicht um Reinlichkeit à la Michael Jackson, bei der man alles nach einmaliger Benutzung wegschmeißt, sondern darum sein versifftes Blut nicht überall zu verteilen.
Und mein Gesamtfazit? Charlotte Roche ist ein olles Ferkel, und das Buch ist anstrengend. Die Frau hat anscheinend nur das Ziel gehabt, alle paar Seiten wieder irgendwas Ekliges einzubringen, denn die Story selbst ist ziemlich dünn und geht kaum voran. Und das Schlimmste ist, dass man nicht mal richtig verschnaufen kann, bevor wieder die nächste Stelle kommt, die einem den Magen umdreht. Da freut man sich zum Beispiel, dass es mal um so was harmloses wie das Züchten von Avocadobäumchen geht, und prompt kommt dann ein Absatz, wo Helen davon redet, wie gerne sie sich die keimenden Avocadokerne in die Möse schiebt. Ich glaube, kein Buch hat es bisher geschafft, sexuelle Fantasien und Praktiken so unerotisch darzustellen wie "Feuchtgebiete", und dabei beziehe ich das Strafgesetzbuch ausdrücklich mit ein. "Feuchtgebiete" lässt sich am ehesten mit "2girls1cup" vergleichen und kommt dabei nicht sonderlich gut weg: Es ist länger, nicht so lustig und hat keine Musik.