Einige Jahrzehnte im 20. Jahrhundert gab es einen König, der von den Stämmen zumindest halbwegs als übergeordnete Instanz anerkannt wurde, aber der wurde dann abgesetzt. (In der Zeit sammelte man dann auch schön Wirtschaftshilfe sowohl von der Sowjetunion als auch den USA ein, ohne sich für eine Seite im Kalten Krieg zu entscheiden. Siehe oben.) Es gibt ja dieses berühmte Foto aus Kabul, mit den jungen Frauen, die modisch gekleidet mit offenen Haaren durch die Stadt spazieren. Die Stadt war zu der Zeit tatsächlich recht offen und tolerant, aber im Rest des Landes sah es ganz anders aus, das war schon immer recht konservativ dort (und eher auf der Linie der Islamisten, mit Scharia und so.)
Und jetzt wurde 20 Jahre lang eine Armee aufgebaut, bei der Leute aufgrund von Beziehungen befördert wurden, Soldaten abgehauen sind, Gelder von korrupten Politikern und Militärs abgezweigt wurde... und die offizielle Nennstärke war immer Augenwischerei. Es war also klar, ohne Hilfe der USA (und anderer Nato-Partner) kann die Armee nicht gegen die Taliban bestehen, zu schwache Führung, zu wenig Kampfmoral, zu wenig Loyalität. Dass die Taliban nach dem Abzug also in Bälde die Macht übernehmen würde, war absehbar. Und aus der Sicht eines Soldaten: Warum soll man jetzt noch zwei Wochen oder Monate lang sein Leben riskieren, um das Unvermeidliche hinauszuzögern? Dann doch lieber verduften und mit dem Leben davonkommen. Das hat sich sicher noch beschleunigt, nachdem der Präsident mit einem Helikopter voller Geld abgehauen ist.
Die Taliban könnte nicht die Macht im Land übernehmen, wenn nicht ein großer Teil der Bevölkerung sie unterstützen oder zumindest akzeptieren würde. So sehr man jetzt auf die Nato schimpft, die Niederlage ist im Wesentlichen eine, die sich Afghanistan selbst angetan hat.