Jeder Expat erzählt einem freimütig davon, dass in seinem neuen Land eine ganze Lebenskultur als daheim herrscht und man erst mal einen Kulturschock überwinden muss, aber sich dann anpasst, um sich zu integrieren. Und keiner keucht dann entsetzt: "Oh Gott, der/die hat gesagt, dass es da anders ist als bei uns! NAZISCHWEIN!"
Natürlich haben wir andere Lebenseinstellungen als in anderen Ländern. Das ist doch normal, und es ist auch normal, dass man da eine gewisse Anpassung von Neuankömmlingen erwartet. Zu glauben, dass es für Integration reichen würde, einfach einen Job zu haben und für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können, das hat doch schon bei den türkischen Gastarbeitern nicht geklappt. Man kann niemanden integrieren, wenn man leugnet, dass es ein Integrationsziel gibt.
Das heißt ja nun auch nicht, dass man jede Eigenheit aus seinem Heimatland ablegen muss. In den USA sind jede Menge Menschen immer noch stolz auf ihre Abstammung aus Deutschland, Italien, Polen, Japan und so weiter, fühlen sich aber gleichzeitig als Amerikaner und identifizieren sich mit den Werten und der Lebensart, die in ihrer Region bestimmend sind. Man mag darüber streiten, ob die USA eher ein Schmelztiegel oder doch eher eine Salatschüssel sind (das war mal Thema in meinem Englisch-LK XD), aber es ist dort ganz selbstverständlich: Wenn man dauerhaft in den USA leben will, muss man sich auf die Kultur dort einlassen, insbesondere, wenn man dann auch noch Bürger werden will. In anderen Ländern ist es genauso. Das finde ich normal, und ich krieg die Krätze, wenn hier so ein Fass aufgemacht wird, obwohl gerade mit dem Verleugnen von so etwas wie einer eigenen deutschen Identität und Lebensart Integration behindert wird.
Und wir brauchen eine gemeinsame Identität und eine gemeinsame Verbundenheit, weil wir uns nun mal als eine Gemeinschaft fühlen müssen, wenn wir wollen, dass wir weiterhin solidarisch füreinander sorgen können. Ein Sozialstaat, wie wir ihn haben, ist schlicht und einfach nicht denkbar, wenn die Bevölkerung aus zu vielen Gruppen besteht, die nichts verbindet, denn keine Gruppe lässt sich dann davon überzeugen, dass sie für die andere Gruppe solidarisch einstehen sollte. Die Anfänge sehen wir doch auch schon, wenn Leute murren, dass andere Gruppen (etwa Migranten) vom Staat z.B. bei der Wohnungssuche mehr unterstützt werden würden, als es die einheimischen Bedürftigen werden. Das klingt zwar nicht so schön utopisch, wie sich das viele Sozialdemokraten, Linke und Grüne vorstellen, dass doch alle Menschen im Prinzip alle gleich wären und jeder total bereit wäre, für einen Fremden dasselbe zu tun wie für ein Mitglied der eigenen Gruppe, aber das ist nun mal illusorisch. Man muss ja auch mit den Menschen arbeiten, die man hat, nicht mit denen, die man gerne hätte (zumal viele der gleichen Sozis, Linken und Grünen ja auch ein ausgeprägtes Gruppendenken haben).
Ich find's auch bescheuert, wenn sich Leute (wie der Lindner von der FDP) hinstellen und erzählen, unsere Leitkultur wäre das Grundgesetz. Ehrlich? Ist es tatsächlich unsere Leitkultur, dass ein Gemeinsamer Ausschuss von Bundestag und Bundesrat zu zwei Dritteln aus Bundestagsabgeordneten und einem Drittel aus Bundesratsabgeordneten besteht? Das Grundgesetz hat am Anfang zwar ein paar Grundrechte aufgelistet (nebst Kleingedrucktem), aber ist ansonsten doch nur eine Bedienungsanleitung für die Organisation unseres Staates. Das klingt zwar groß, wenn man erzählt, dass das Grundgesetz die Essenz unserer Kultur wäre, aber bei näherem Hingucken ist das eine Plattitüde ohne viel Substanz.