Der IWF fordert Schuldensteuer? Quatsch.
Eigentlich wollte ich einen witzigen Eintrag posten, aber der muss warten, weil ich auf eine durchaus aufsehenerregende Meldung aufmerksam gemacht wurde: Laut der Website "Deutsche Wirtschafts Nachrichten" (inoffizieller Slogan ist vermutlich: "Ihr könnt nur hoffen, dass wir von Wirtschaft mehr Ahnung haben als von Rechtschreibung" ) fordert der Internationale Währungsfonds eine "allgemeine Schuldensteuer in Höhe von 10 Prozent für jeden Haushalt in der Euro-Zone, der auch nur über geringe Ersparnisse verfügt". Donnerknispel! Da wundert es einen doch glatt, dass die ganzen etablierten Medien darüber nichts vermelden.
Der Artikel ist dann auch schön aufgeregt und alarmierend. Und er ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit selektiver Auswahl von Informationen und schamloser Ansprache von Ängsten Menschen manipulieren kann. Ich habe keine Ahnung, ob der Schreiber der ganzen Grütze nun absichtlich einen Skandal konstruiert, wo keiner ist, oder ob er einfach zu den Deutschen gehört, die mit Konzepten wie Textverständnis auf Kriegsfuß stehen.
Aber der Reihe nach: Wo soll der IWF denn diese ominöse Forderung erhoben haben? Im aktuellen "Fiscal Monitor". In dem Dokument werden die jüngsten Entwicklungen zur Haushaltslage der Länder erläutert und außerdem verschiedene Szenarien angesprochen und durchgerechnet, die für eine Verbesserung der Einnahmen angedacht werden könnten, wobei sowohl Chancen als auch Risiken aufgelistet werden. Nirgendwo steht etwas von "Deutschland sollte XYZ machen" oder "Wir fordern, dass Griechenland ABC tut". Es steht sogar ziemlich deutlich drin: "Die Frage, ob mehr getan werden kann, ist eine andere als die, ob mehr getan werden sollte."
Die "Deutschen Wirtschafts Nachrichten" melden in dem Artikel:
Im neuen Fiscal Monitor fordert der IWF, dass der Spitzensteuersatz in Deutschland auf bis zu 70 Prozent angehoben wird.
Ich habe keine Ahnung, wo das stehen soll. Es gibt eine Grafik, die zeigt, wie viel Spielraum diverse Länder hätten, um den Spitzensteuersatz so weit anzuheben, ohne dass sich das im Endeffekt wieder negativ auf die Einnahmen auswirkt. (Laut der Grafik würden die deutschen Steuereinnahmen also bei einem Spitzensteuersatz von etwa 70 Prozent höher sein als bei einem von 75 Prozent, weil 75 außerhalb des blauen Balkens liegt.)
Der IWF fordert allerdings nirgendwo, dass dieser Spielraum ausgereizt werden sollte. (Man weist sogar darauf hin, dass bei den Berechnungen einige Umstände nicht berücksichtigt werden konnten, z.B. inwieweit die betroffenen Steuerzahler dann eventuell einfach in ein anderes Land flüchten.) Die Grafik zeigt lediglich eine Möglichkeit, die Deutschland (im Gegensatz zu Dänemark) offen steht, falls das Land die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben schließen will.
(Warum der Knubbel bei Deutschland auf gut 55 Prozent steht, weiß ich übrigens nicht. Ich kann nur vermuten, dass Soli und Sozialabgaben reingerechnet wurden.)
Kommen wir jetzt aber zum Wesentlichen: der "Schulden-Steuer"! Diesmal wird sogar eine Quelle genannt: Auf Seite 49 des Berichts wird angeblich diese Abgabe gefordert. Und in der Übersetzung der DWN liest sich das auch bedrohlich:
Die deutliche Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in vielen Ländern hat das Interesse an einer Zwangsabgabe auf Vermögen (capital levy) geweckt. Dies ist eine einmalige Abgabe als eine außergewöhnliche Maßnahme, um die Nachhaltigkeit der Schulden wiederherzustellen. Der Charme einer solchen Maßnahme besteht darin, dass eine solche Steuer erhoben werden kann, bevor es zu einer Steuerflucht kommen kann. Dazu muss der Glaube hergestellt werden, dass diese Maßnahme einmalig ist und niemals wiederholt wird. Die Steuer würde die Bürger nicht verstören. Einige würden sie sogar als fair empfinden.[...]
Die Voraussetzungen für eine solche Steuer müssen geschaffen werden. Doch sie müssen abgewogen werden gegen die Alternativen: Diese wären die Ablehnung der öffentlichen Schulden (also Staatspleiten, Anm. d. Red.) oder Inflation.[...]Es gibt überraschend viele Erfahrungen mit einer solchen Zwangsabgabe in der Geschichte, auf denen wir aufbauen können. Solche Zwangsabgaben wurden vielfach in Europa nach dem Ersten Weltkrieg erhoben.[...]
Die Höhe der Steuer müsste bewirken, dass die europäischen Staats-Schulden auf das Vorkrisen-Niveau zurückgefahren werden. Um die Schulden auf den Stand von 2007 zurückzufahren (zum Beispiel in den Ländern der Euro-Zone), ist eine Steuer von etwa 10 Prozent für Haushalte mit einem positiven Vermögensstand notwendig.
Wow, harter Stoff. Allerdings macht das Original einen anderen Eindruck.
Ich versuche mich mal an einer eigenen Übersetzung. Mal sehen, wie viele Unterschiede ihr bemerkt:
Eine einmalige Kapital-Abgabe?
Die starke Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in vielen Ländern hat das Interesse an einer "Kapital-Abgabe" - einer einmaligen Steuer auf privates Vermögen - wiederbelebt, als außergewöhnliches Mittel zur Wiederherstellung der Schulden-Tragfähigkeit. Der Reiz einer solchen Maßnahme ist, dass sie keinen Einfluss auf das Verhalten hat (und von manchen womöglich als gerecht empfunden wird), falls sie umgesetzt wird, bevor eine Steuerflucht möglich ist, und als einmalige Maßnahme begriffen wird. Es gab berühmte Befürworter, inklusive Pigou, Ricardo, Schumpeter und - bevor er seine Meinung änderte - Keynes. Die Bedingungen für den Erfolg sind hart, aber müssen auch gegen die Risiken der Alternativen abgewogen werden, etwa Nichtanerkennung der Schulden oder der Tilgung durch Inflation (die wiederum ebenfalls eine Art Vermögenssteuer für Anleihenbesitzer auch im Ausland sind).
Es gibt überraschend viele Erfahrungen damit, da ähnliche Abgaben vielfach in Europa nach dem Ersten Weltkrieg und auch in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurden. Die Auswertung durch Eichengreen (1990) deutet an, dass der Verlust jeder Glaubwürdigkeit weniger relevant war als das simple Versagen, die Schulden zu reduzieren; in erster Linie wegen Steuervermeidung und Kapitalflucht, die wiederum die Inflation anheizten.
Die benötigten Steuerraten, um die öffentlichen Schulden wieder auf das Vorkrisenniveau zu bringen, sind darüber hinaus beträchtlich: Die Schuldenreduzierung auf den Stand von Ende 2007 würde (für eine Auswahl von 15 Euro-Ländern) eine Steuerrate von 10 Prozent für alle Haushalte mit positivem Nettovermögen erfordern.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das klingt für mich weniger nach einer Forderung, eher nach einer Warnung. Es steht auch nirgendwo: "Die Voraussetzungen für eine solche Steuer müssen geschaffen werden", wie es DWN in der (lausigen) Übersetzung behauptet. Im Satz über den Charme/Reiz einer solchen Steuer wurde der DWN-Schreiberling offenbar von der Satzstruktur vollkommen überfahren. Im IWF-Bericht ist dieser Text übrigens tatsächlich farbig abgesetzt, als zusätzlicher Infokasten, um abseits der besprochenen Maßnahmen diese Abgabe zu behandeln. Nicht etwa, weil man sie so dufte findet, sondern vermutlich eher, weil aufgrund der Krise diese Idee in vielen Ländern wieder aufgekommen ist.
Außerdem muss man sich einfach mal fragen: Wie realistisch wäre so etwas? Erstens müssten die reichen Leute am meisten zahlen. Da hört's schon bei den meisten Ländern auf, da gibt man sich höchste Mühe, die Reichsten nicht mehr zu belasten. Zweitens haben wir vor gar nicht langer Zeit erfahren, dass die Einwohner in den südlichen Ländern Europas mehr Vermögen haben als z.B. die Deutschen, weil die Wohneigentumsquote dort viel höher ist. Das Vermögen ist bei denen aber in Immobilien gebunden, da können die nicht einfach eine Ecke abschneiden und ans Finanzamt schicken. Das wäre also schon deswegen europaweit gar nicht umzusetzen.
Kurz gesagt: Die "Deutschen Wirtschafts Nachrichten" stinken und wollen die Leute aufhetzen. Mir ist ehrlich gesagt scheißegal, ob ihr für den Euro oder dagegen seid, ob ihr die Eurorettung gut findet oder nicht, mir ist auch vollkommen schnuppe, was ihr vom Internationalen Währungsfonds haltet. Aber wenn man schon wütend auf etwas oder jemanden ist, sollte es auch ein echter Grund sein, keine Räuberpistole von irgendeinem drittklassigen Weltuntergangspropheten.
Danke an denjenigen, der mich per FdH darauf aufmerksam gemacht hat; so ein schönes, leicht zu dekonstruierendes Beispiel dreister Manipulation kommt nicht jeden Tag rein.
Gast
Eine Stelle hast du, finde ich, nicht korrekt übersetzt, nämlich "[...] failure to achieve debt reduction, largely because the delay in introduction gave space for extensive avoidance and capital flight - in turn spurring inflation".
Du hast das übersetzt als "[...]als das simple Versagen, die Schulden zu reduzieren; in erster Linie wegen Steuervermeidung und Kapitalflucht, die wiederum die Inflation anheizten."
Ich würde es eher übersetzen als: "[...] weniger relevant war als das Versagen, die Schulden zu reduzieren, da durch die Verzögerung der Einführung dieser Steuer Platz für Steuervermeidung und Kapitalflucht geschaffen wurde - was wiederum die Inflation anheizte."
Da besteht ja schon ein großer Unterschied.