Im Bus
Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, ist das meistens für mein Gemüt eine zwiespältige Angelegenheit. Mir laufen dauernd Prolls über den Weg, Fortschrittsfeinde stehen mir ständig im selben, und dass ich letztens unfreiwillig einen Blick auf den blanken Arsch einer Rentnerin werfen durfte musste, habe ich ja schon bei Twitter erzählt.
Dennoch gibt es ein paar Dinge, die mir eine innerliche Wärme geben. Jungen Frauen ungefragt von meinem Genital zu erzählen zum Beispiel. Ein weiterer Gemütsheber ist es, andere Leute dabei zu beobachten, wie sie sich in Extremsituationen anpampen.
Erst kürzlich durfte ich das mal wieder im Bus bewundern. Der Bus davor war ausgefallen, also war dieses Beförderungsmittel proppevoll. Das bringt in den Menschen ja immer die besten Manieren hervor. Während ich also etwas gequetscht im Bus stand und hoffte, dass niemand auf meinen lädierten Zeh latscht, kam dann nach ein paar Minuten Fahrt auch der empörte Ausruf einer Dame Frau: "Lassense mir doch mal Platz, Menschenskind!"
Die so angesprochene Studentin beteuerte aber, dass sie an der Situation nichts ändern könne: "Wie denn, ick bin doch selber hier einjeklemmt!"
Das wollte besagte Frau aber nicht akzeptieren: "Verdammt noch mal, jehen Sie doch mal n Schritt beiseite!"
Die nun auch etwas aggressiver vorgebrachte Antwort: "Wohin denn? Ick bin doch ooch von allen Seiten einjebaut!"
Da brachen aus der Frau alle Sorgen hervor: "Mir ejal, machense hin! Is doch zum Kotzen hier. Ick hab kaum Platz zum Stehen, und irgendeen Hund kratzt mir anne Beene und macht ma die Strumpfhose kaputt!"
Mir gelang es, einen Blick nach unten auf ihre Kackstelzen zu werfen. Die Frau stand äußerst breitbeinig (und somit platzraubend) da, zwischen der Oberkante ihrer Stiefel und dem unteren Ende ihres Rocks waren vielleicht zehn Zentimeter unbeschädigte, dicke Strumpfhose zu erkennen. Der besagte Hund, der gar nicht zu der angekeiften Studentin gehörte, kauerte übrigens drei Personen weiter an der Tür des Busses und guckte ängstlich mit großen, unschuldigen Augen.
Die Studentin hatte generell aber auch kein offenes Ohr mehr für die Nöte dieser Frau: "Is dit meene Schuld? Is halt eng hier!"
Diese mangelnde Unterwürfigkeit behagte der Frau gar nicht, und sie legte noch eine Schippe Verärgerung nach: "Verdammt nomma! Ja, dit is verdammt enge hier und ick hab kaum Platz zum Stehen!"
Ich fand es herrlich. Da sind zwei Leute derselben Meinung ("Es ist eng hier!" ) und streiten trotzdem. Und keiner von beiden hat die Mittel, dieses Problem zu lösen. Aber man keift sich trotzdem an. Ich verkniff mir mit Mühe das Grinsen.
Zum Glück bot sich ein anderer Fahrgast als Mediator an und sorgte mit einem Machtwort für Ruhe: "Ja, det is eng hier, könnwa nüscht dran ändern, also haltense beide doch einfach mal die Klappe!" Die Studentin zuckte mit den Schultern, die Frau schnaufte noch mal empört, traute sich aber nicht mehr, etwas zu sagen.
Als der Bus am Bahnhof hielt, drängelte sie sich durch die ganzen Leute, die ebenfalls aussteigen wollten, und draußen gab sie mit einem letzten "Sone Frechheit!" ihrem Ärger noch einmal kurz Luft, bevor sie von dannen schlenderte. Im Nachhinein denke ich, ich hätte ihr noch einen Dank aussprechen sollen. Ohne sie hätte ich die Fahrt auch zum Kotzen gefunden.
Gast
Ach ja, die Berliner Verkehrsmittel. Da konntest Du wahrscheinlich noch froh sein, dass Du überhaupt noch in den Bus gekommen bist -mich hat man neulich draußen stehen lassen...
P.S.: Auf dem Rückweg von deiner Lesung ist mir übrigens aufgefallen, dass es "im Osten" deutlich ruhiger und angenehmer ist, was die S-Bahn des Nachts betrifft. Sobald man in die Nähe Steglitz-Zehlendorfs kam, wurde es deutlich voller und -weil es ja Freitag war- wimmelte nur so von mindestens halb besoffenen jugendlichen.