Plagiate
Ich sehe es von außen und fühle mich dennoch irgendwie betroffen: Die als "literarisches Wunderkind" gefeierte Helene Hegemann hat ihren Roman "Axolotl Roadkill" in riesigen Teilen aus dem Roman "Strobo" des Bloggers Airen abgeschrieben, und sie wurde erwischt - dummerweise erst nachdem das Feuilleton den Roman in höchsten Tönen lobte. Und während Hegemann sich selbstbewusst zum Plagiat bekennt, dabei keinerlei Bedauern über ihr Abkupfern erkennen lässt und die ganze Sache damit begründet, dass es halt gerade in ihrer Generation so usus sei, beginnen auch viele Kulturjournalisten einen würdelosen Tanz, nur um nicht zugeben zu müssen, dass man einen Fehler gemacht hat und die ganze Sache halt doch irgendwie scheiße gelaufen ist. Die Leute, die sich vermutlich sonst mit Händen und Füßen dagegen wehren würden, dass ihre Texte ohne Quellenangabe nur leicht umgeschrieben von anderen verwendet werden, begründen das Plagiat mit hanebüchenen Verweisen auf den fehlenden Urheberbegriff des Mittelalters und auf die schon immer vorhandene Praxis, als Autor Inspiration in früheren literarischen Stoffen zu suchen. Dass sie dabei mal eben Inspiration und Zitat gleichsetzen, ist für Menschen, die mit dem Schreiben ihr Geld verdienen, einfach nur blamabel.
Auch die Begründung, dass Hegemanns Roman literarisch gelungener sei als der von Airen, rechtfertigt nicht die Tat selbst. Ein Roman kann noch so gut geschrieben sein - die Story ist sein Fundament. (Nicht zuletzt deswegen ist es auch für mich eine gigantische Aufgabe, einen guten Roman zu schreiben.) Und das Fundament von "Axolotl Roadkill" wurde eben nicht von Helene Hegemann geschaffen, sondern von Airen. Hier kommt ein Aspekt zum Tragen, der nicht einfach durch eine simple Dankesfloskel auf der ersten Seite des Buches erledigt werden kann: Hegemann verdient Geld mit der Arbeit eines anderen. So wie der Roman hochgejubelt wurde, verdient sie vermutlich weitaus mehr Geld als derjenige, der das Fundament für ihren Erfolg lieferte. Gerecht ist das nicht.
Was sagt das alles über das Verlagswesen aus? Man kann von den Mitarbeitern des Ullstein-Verlags sicher nicht verlangen, dass sie jedes erschienene Buch kennen, gerade wenn es aus einem Kleinverlag kommt und sich nicht besonders gut verkaufte. Aber hätten nicht beim Lektor einige Alarmglocken schrillen müssen, als er das Werk las? Wie wahrscheinlich ist es, dass eine anscheinend nicht gerade am Rande der Gesellschaft stehende 17-Jährige sich so gut mit Drogen und dem Nachtleben in Berliner Clubs auskennt?
Ich glaube, die Verlage sind einfach viel zu geil darauf, ganz junge Leute als neue literarische Entdeckungen zu verkaufen. Eine 17-Jährige, deren Papa bekannter Dramaturg ist, ist dafür ebenso gut geeignet wie eine 18-Jährige, die eine Fickgeschichte schreibt, welche dann von der BILD zum heißen Skandalbuch hochgejubelt wird. Man erwartet in den Büchern eine besonders authentische Darstellung über das Leben heutiger Jugendlicher, ohne sich ins Gedächtnis zu rufen, dass große Teile davon mit dem realen Alltag der deutschen Jugend kaum Berührungspunkte haben und einfach nur Fantasien oder Wunschträume schildern, die in Jugendlichen mindestens so lebendig sind wie in 30- oder 50-Jährigen. Ein Teenager, der über Sex und harte Drogen schreibt, ist ungefähr so glaubwürdig wie ein Angler, der mit leuchtenden Augen schildert, dass er erst vor zwei Wochen einen 25-Kilo-Karpfen an Land gezogen hätte. Und dennoch nehmen die Verlage den Teenagern blauäugig Geschichten ab, die sie von zehn Jahre älteren Autoren als "zu unrealistisch" ablehnen würden. Es gibt den Promibonus für Fernsehpersönlichkeiten, und es gibt den Jugendbonus für junge Mädchen, die über Rausch und Sex schreiben. Wäre ja nicht so schlimm, wenn denn die Ansprüche nicht so viel niedriger wären als an jeden anderen, der seine Werke an Verlage schickt.
Wenn der Trubel um "Axolotl Roadkill" etwas gezeigt hat, dann dass selbst junge Autoren sich zu wenig Gedanken über den Wert geistiger Arbeit machen. In Japan wurden in den vergangenen Jahren mehrere Karrieren von Zeichnern und Autoren drastisch beendet, als ihnen Plagiate nachgewiesen wurden - die Verlage riefen zum Teil sämtliche Werke der Künstler aus dem Buchhandel zurück, selbst diejenigen, in denen nichts abgekupfert war. So sollte es Hegemann nicht gehen, beim besten Willen nicht. Wenn sie schriftstellerisches Talent hat, soll sie weiter schreiben und veröffentlichen. Aber sie muss den Wert der Arbeit anderer erkennen und wertschätzen lernen.
Um fair zu sein: Das müssen auch etablierte Autoren lernen. Ralf Husmann ist zum Beispiel hochgefeierter Drehbuchautor, der sich verkniff, das britische "The Office" als Vorlage für "Stromberg" anzugeben - erst die Androhung rechtlicher Schritte durch die BBC sorgte für eine entsprechende Nennung im Abspann. Ein Kreativer sollte so etwas mit seinem Gewissen nicht vereinbaren können. Ich weiß nicht, ob Husmann diese Lektion verstanden hat, aber ich hoffe, Helene Hegemann tut es.
Gast
Richtig so, wenn in der Öffentlichkeit so ein Handeln akzptiert werden würde, kann man denn sonst z. B. vom Otto-Normalschüler erwarten, dass sich bei Hausarbeiten selber gedanken macht und nicht abschreibt?