Eine Anleitung zum Rufmord
Nuff! Ich grüße das Volk.
Das gnadenloseste Gericht ist das der öffentlichen Meinung, und es kümmert sich kaum um Beweise. Dass jemand aufgrund von Gerüchten und Vorwürfen und der daraufhin folgenden Ächtung durch die Gesellschaft vollkommen ruiniert wird, ist natürlich kein neues Phänomen. Vor etwas über 100 Jahren wurde Stummfilmstar Roscoe „Fatty“ Arbuckle beschuldigt, bei einer Party eine Schauspielkollegin vergewaltigt und dabei so schwer verletzt zu haben, dass sie wenige Tage später starb. In Wirklichkeit starb sie an einer Bauchfellinfektion; Arbuckle hatte sich nie an ihr vergriffen und wurde nach einem langwierigen Gerichtsprozess freigesprochen. Dennoch war er gesellschaftlich erledigt, Filmstudios mieden ihn, aufgebrachte Menschen forderten die Todesstrafe für den gefallenen Star.
Heutzutage kennt kaum jemand noch Fatty Arbuckle (zumal viele seiner Filme heute verloren sind), aber die letzten Jahrzehnte haben genug andere Beispiele geliefert, in denen jemand ohne handfeste Beweise von der Presse und der Öffentlichkeit vorverurteilt wurde, mit oft ernsten beruflichen Auswirkungen. Andreas Türck, Jörg Kachelmann, Luke Mockridge und zuletzt Till Lindemann sind prominente Namen, die in diesem Zusammenhang durch die deutschen Medien gingen, auch Karl Dall musste sich gegen Vorwürfe wehren. Dazu kommen viele Nichtprominente, die derartige Anschuldigungen erleben und keine Fanbasis haben, die ihnen beisteht. Natürlich gibt’s auch Männer, bei denen sich die Vorwürfe als berechtigt herausstellen, etwa bei Bill Cosby oder Harvey Weinstein. Aber das zeigte sich eben erst im Zuge behördlicher Ermittlungen.
Die Mechanismen, wie man einen Mann durch bestimmte Vorwürfe vernichten kann, beschreibt eine (angebliche) Psychologin, die sich Angela Confidential nennt und ein Buch namens „How to Destroy A Man Now (DAMN)“ verfasst hat. Das Werk ist auf Englisch und bezieht sich (gerade in den rechtlichen Einordnungen) auf amerikanische Verhältnisse, aber die Strategien funktionieren im Prinzip genauso auch in Deutschland.
Es gibt zwei Anwendungsbereiche für die DAMN-Strategie, die beide in dem Buch erklärt werden. Die erste ist allgemein dafür da, einen Mann online komplett zu ruinieren, beispielsweise wird das an einem Arzt vorgeführt. Das passiert planmäßig: Das Buch listet eine ganze Reihe von Websites auf, auf denen man Bewertungen für Unternehmen und Selbständige abgeben kann und die nicht sonderlich sorgfältig dabei sind, die Rezensionen zu überprüfen. Mit anonymen Accounts soll man also zunächst auf verschiedenen Seiten gefälschte Rezensionen abgeben, etwa mit dem Tenor: „Der Arzt XY, (Adresse der Praxis) hat mich bei der Untersuchung angegrabbelt.“ Das sollte man ausschmücken, aber dabei nicht so übertreiben, dass es unrealistisch wird, und am besten funktionieren natürlich Beschuldigungen, die sexuelle oder gewalttätige Übergriffe gegen Frauen und/oder Kinder beinhalten. Die Texte sollten nicht gleich sein, sondern so wirken, als würden sie von verschiedenen Personen stammen. Es gibt auch Tipps, wie man diese Beiträge besonders gut für Suchmaschinen optimieren kann, außerdem gibt’s den Rat, durch die Benutzung von VPNs oder fremden Internetzugängen seine Spur zu verschleiern.
Dann wird dazu geraten, die sozialen Medien zu benutzen, etwa mit Tweets wie „Oh mein Gott, ich wollte zu Doktor XY gehen, doch zum Glück habe ich vorher hier gelesen, was für ein Schwein er ist“, natürlich mit Link auf eine der Schmährezensionen.
Im nächsten Schritt bemüht man dann die Autoritäten: Man stellt empörte Anfragen bei Regulierungsorganen (etwa der Ärztekammer) und kontaktiert Geschäftspartner, um dem Mann den Rest zu geben. Fast schon diabolisch wird darauf hingewiesen, dass der Verlust von Einkommen und sozialer Unterstützung aus dem Familien-, Freundes- und Kollegenkreis in den meisten Fällen dazu führt, dass das Opfer nicht über die Mittel verfügt, sich juristisch gegen die Verleumdungen zu wehren, zumal es auch schwierig ist, den Urheber dieser Behauptungen dingfest zu machen, wenn der wie geraten seine Spuren verwischt hat.
Der zweite Anwendungsbereich ist das Vernichten eines Mannes am Arbeitsplatz. Auch hier wird eine Beispielgeschichte herangezogen: Protagonistin ist eine Frau, die frisch von der Uni für eine Stelle im Marketing eingestellt wurde und sich sofort mit allerlei Kollegen anfreundet. Lediglich ein Kollege ist ihr ein Dorn im Auge: Er ist typischer Ingenieur, introvertiert, beteiligt sich nicht an Büroklatsch, ist nicht sehr gesellig und hat sich mit seinen Fachkenntnissen über Jahre in dem Unternehmen hochgearbeitet. Noch schlimmer: Er kritisiert, dass sie in ihren Marketingaktionen die technischen Fähigkeiten der Produkte übertreibt. Ganz klar, der muss weg.
Zuerst jammert sie die Kollegen und Vorgesetzten voll, mit denen sie sich im Büro angefreundet hat: Der Typ unterbricht einen bloß, weil man eine Frau ist und so weiter. Nachdem sie deren Meinung über die Zielperson dann entsprechend vorgeprägt hat, geht’s zum nächsten Schritt: Die Dame beschwert sich bei der Personalabteilung, weil der Herr Ingenieur sie schlecht behandeln würde, weil sie eine Frau ist, und außerdem ist er vermutlich sexuell an ihr interessiert – ach ja, er hat ihr bei Gesprächen auf die Brüste geguckt! Kann natürlich keiner nachprüfen, aber wenn man die anderen Angestellten fragt, können die wenigstens bestätigen, dass die Frau sich ihnen gegenüber auch schon über den Mann beklagt habe. Und hier ist es für die Vernichtungsstrategie prima, dass sowohl Personal- als auch Rechtsabteilung nur dazu da sind, das Unternehmen zu schützen, nicht die Angestellten, und deswegen wird dann durchgegriffen, damit man weder in den Augen der Öffentlichkeit noch vor irgendwelchen Gerichten befürchten muss, wegen fehlender Unterstützung für arme geknechtete Frauen kritisiert zu werden. Der Mann wird herbeizitiert, verwarnt und dazu verdonnert, sich zu entschuldigen, wenn er nicht entlassen werden will. Nun ist eine Entschuldigung in den Augen anderer ein Schuldeingeständnis, sein Problem wird also nur noch größer. Selbst wenn er sich entschuldigt und seinen Job behalten darf, wird er Beförderungen vergessen können, unter den Kollegen ist er in Zukunft isoliert.
Warum funktioniert es so leicht, einen Mann mit fadenscheinigen Anschuldigungen zu zerstören? Angela Confidential begründet das mit dem Patriarchat: Frauen haben es inzwischen geschafft, sehr viel Einfluss zu kriegen. Aber weil das Patriarchat immer noch glauben würde, Frauen wären schwach, haben sie alle Trümpfe in der Hand: Sie verfügen über Macht, aber genießen gleichzeitig die Rücksicht, die eigentlich nur Schwächeren zuteilwird. Und das können sie ausnutzen, um auch unschuldige Männer gesellschaftlich zu erledigen.
Ich glaube nicht, dass man dem Patriarchat hier die Schuld geben kann. Aber ansonsten ist die Begründung sicher nicht verkehrt. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass die in dem Buch dargelegten Strategien so funktionieren. Man sieht es in den Medien und man kennt solche Geschichten sicherlich auch aus dem privaten Umfeld. Und in den asozialen Netzen vergeht kaum eine Woche, ohne dass man eine Kampagne mitbekommt, die mit vagen Anschuldigungen einen Mob gegen eine mehr oder weniger bekannte Person aufgebracht hat.
Ich möchte das Buch gerne als ironischen Pranger gegen diese Vernichtungsstrategien verstehen. Ich hoffe, dass es so gemeint ist. Allerdings kann ich den Gedanken nicht wegschieben, dass es Frauen gibt, die es als die Anleitung benutzen würden, als die es sich präsentiert. Nach den abscheulichen Reaktionen, die zum Beispiel ein Video hervorruft, in dem einfach nur gesagt wird, dass Männer einsam sind und darunter leiden, habe ich wenig Illusionen, dass alle Leserinnen so anständig sein und angewidert auf die Idee reagieren werden, unschuldige Menschen mit Lügen und Intrigen näher an den Suizid zu treiben.
Es gibt eine gut belegte Empathielücke: Mit Männern haben sowohl Männer als auch Frauen deutlich weniger Mitleid als mit Frauen. Und doch können sich Frauen nicht beruhigt zurücklehnen: Natürlich werden auch missliebige Frauen Opfer von Versuchen gesellschaftlicher Vernichtung, meist wenn sie „das Falsche“ denken oder sagen, wenngleich das seltener gepaart ist mit Vorwürfen sexueller oder gewalttätiger Vergehen, für die sich normalerweise auch eine Staatsanwaltschaft interessieren würde. Dennoch sehe ich auf Twitter häufig, wie Frauen zum Beispiel mit Naziverbrechern gleichgestellt werden und deswegen Arbeitslosigkeit und Wohnungsverlust verdient hätten (nebst einigen Gewalttaten, die ihnen an den Hals gewünscht werden), und ganz oft sind es die angeblich Anständigen, die am meisten ihre Messer wetzen und sich dann selbst dafür feiern, zu den Guten zu gehören. Es sind auch die, die sich besonders leicht von Freunden und Bekannten abwenden, sobald auch nur das Gerücht eines Hauchs des Makels diese Menschen umweht, als wäre ihre eigene Menschenkenntnis so schlecht, dass man dem Urteil eines aufgeheizten Mobs vertrauen müsste.
Ob das so clever ist, möchte ich bezweifeln. Klar ist es womöglich angebracht, Verbindungen zu lösen, falls sich ernsthafte Vorwürfe bestätigen, aber oft sind die vermeintlichen Verfehlungen nichts weiter als Meinungsverschiedenheiten oder haltlose Behauptungen, und in dem Fall sollte man sich vielleicht überlegen, ob man seine Loyalitäten so einfach in die Tonne schmeißt. Denn gerade in Umgebungen, in denen man eine Lust daran hat, andere allein mit der Macht sozialer Ächtung zu erledigen, wird man schnell selbst vom Jäger zum Gejagten und von seinen ehemaligen Mitstreitern zum Abschuss freigegeben. Da würde es helfen, doch noch Freunde zu haben, die als Stütze dienen und einen davor bewahren, in die tiefsten Abgründe menschlicher Verzweiflung hinabzugleiten. Aber wer steht einem schon bei, wenn man andere immer im Stich gelassen hat?
Aber was rede ich da. Zu viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass sie mal auf der falschen Seite der Inquisition stehen könnten, dass die Wahrheit ihrer eigenen Überzeugungen nicht auch die Wahrheit derjenigen sein könnte, die im Gerichtshof der öffentlichen Meinung Urteile fällen. Muss schön sein, sich immer so sicher zu sein. Und doch auch irgendwie beängstigend.
So, in ein paar Tagen gibt's dann etwas, was hoffentlich amüsanter zu lesen ist. Bis dann!
Mitglied
Hattest du das Buch nicht schon mal in einem Blog-Artikel erwähnt? Es kommt mir bekannt vor und meine Reaktion ist die gleiche wie als ich davon zum ersten Mal gehört habe: