Gefährliches Facebook?
Nuff, ich grüße das Volk.
Vor Kurzem klemmte Facebook versehentlich seine Infrastruktur vom Internet ab, was dazu führte, dass man nicht mehr auf WhatsApp, Instagram und das soziale Netzwerk selbst zugreifen konnte. Nicht nur Twitter zeigte offene Häme, auch viele Normalnutzer freuten sich tierisch darüber, dass dieser Internetgigant (durch eigene Schuld) was auf den Sack kriegte. Zudem heischte kurz vorher eine Whistleblowerin um Aufmerksamkeit, indem sie davon sprach, wie Facebook ganz ohne schlechtes Gewissen seine Geschäfte betriebe, obwohl doch selbst Facebook-eigene Studien belegen würden, wie furchtbar Instagram für das Selbstbewusstsein von jungen Menschen wäre.
Die Reaktion ist durchaus verständlich. Facebook ist ein großer, mächtiger Konzern, die Seite macht viele Meinungen sichtbar, mit denen man nicht gerne konfrontiert werden möchte, der Umgang mit den Daten ist eher zweifelhaft, die Zensurmaßnahmen sind oft nicht nachvollziehbar und Normalnutzer müssen sich Regeln unterwerfen, die für gewisse VIPs nicht gelten – natürlich kann man sich da ein wenig Schadenfreude nicht verkneifen. Aber kaum jemand stellt sich die Frage: Sind soziale Netzwerke tatsächlich so gesundheitsschädlich, wie alle immer sagen? Stimmt es, dass sie eine Gefahr für Wohlbefinden und Demokratie sind? Was sagt die Forschung darüber?
Sind soziale Netzwerke schlecht für das Wohlbefinden?
Auf den ersten Blick erscheint es einleuchtend: Influencer und auch normale Leute stellen auf Instagram und Co. üblicherweise nur die besten Seiten ihres Lebens zur Schau und könnten somit beim Betrachter den Eindruck erwecken, dass es einem dreckiger geht als allen anderen. Da liegt es doch sicher nahe, dass man sich nach dem Anschauen so richtig wertlos und beschissen fühlt, oder?
Und tatsächlich sollen etwa in den Umfragen von Facebook drei von zehn Teenagermädchen angegeben haben, sich in ihrem Körper durch Instagram noch schlechter zu fühlen, wenn sie eh schon nicht zufrieden mit ihrem Aussehen sind. Ist damit alles klar?
Nicht wirklich: Wenn man selbst unzufrieden ist, weiß man oft gar nicht, was jetzt genau der Auslöser ist, und daher ist es durchaus vorstellbar, dass Instagram für die besagten Teenagermädchen nur eine naheliegende, aber nicht unbedingt zutreffende Erklärung ist. Es gibt in den Facebook-Umfragen keine Kontrollgruppe von Mädchen, die Instagram nicht benutzen, um herauszufinden, ob Instagram-Nutzerinnen sich tatsächlich insgesamt mieser fühlen als Mädchen, die sich von der Plattform fernhalten. (Selbst dann wäre eine Kausalität noch nachzuweisen.)
Auf der anderen Seite gaben mehr Mädchen an, dass die Nutzung von Instagram ihr Wohlbefinden steigert, was zum Beispiel Einsamkeit, Ängste oder Essverhalten angeht. Die negative Auswirkung aufs Körperbild für einen beträchtlichen Teil der Befragten wird in den Medien deswegen so betont, weil sie ein Ausreißer ist; der einzige Bereich, in dem mehr Mädchen negative als positive Auswirkungen angaben. In anderen Aspekten empfanden mehr Befragte die Nutzung ihrer sozialen Medien positiv. Und selbst beim Körperbild gaben die meisten Mädchen mit Problemen in diesem Bereich an, dass Instagram ihr Empfinden entweder gar nicht beeinflusste (45 Prozent) oder gar verbesserte (22 Prozent).
Nun kann man bei einer von Facebook in Auftrag gegebenen Studie mit Fug und Recht skeptisch sein – selbst Facebook gibt zu, dass etwa die Zahl der Teilnehmer in einzelnen Umfragen recht niedrig war, aber es gibt natürlich auch Forschung echter Universitäten zum Einfluss sozialer Medien auf das Wohlbefinden von Heranwachsenden.
Die Resultate: Wer mehr Zeit mit sozialen Medien verbringt, leidet nicht stärker unter Depressionen oder Angststörungen. Es gibt auch keinen wesentlichen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und schlechtem Wohlbefinden oder schlechter Lernleistung. Ebenso gibt es keinen relevanten Einfluss auf Teenager-Selbstmorde. Es wurde auch untersucht, ob eine zeitliche Reduzierung der Nutzung einen Einfluss aufs Wohlbefinden hat: nein.
Eine Studie in den Niederlanden ergab zwar, dass häufige Nutzer von sozialen Medien ein bisschen unglücklicher wären, aber deren Wohlbefinden änderte sich ebenfalls nicht, wenn sie die Zeit reduzierten, die sie mit diesen Medien verbrachten, woraus man also nicht schließen kann, dass die sozialen Medien ursächlich für die schlechtere Laune wären. Eine weitere niederländische Studie an Heranwachsenden zwischen 13 und 15 Jahren ergab, dass 92 Prozent der Jugendlichen gar keine oder positive Auswirkungen von passiver Nutzung der sozialen Medien auf ihr Selbstbewusstsein vermeldeten. Negative Einflüsse aufs Selbstbewusstsein sind wahrscheinlicher bei Jugendlichen, die besonders anfällig für Neid sind. Eine britische Zwillingsstudie deutet an, dass Gene zu einem beträchtlichen Teil bestimmen, welche Auswirkungen soziale Medien haben.
Im Endeffekt heißt das: Es gibt derzeit keine belastbaren Hinweise darauf, dass soziale Medien wirklich einen starken negativen Einfluss auf Jugendliche haben. Mehr Jugendliche geben an, dass die sozialen Medien ihnen eher helfen. Man kann also erst einmal ruhig und tief durchatmen und die ganze Sache in die Moralpanik-Ecke schieben, in der man schon „Gamer sind potenzielle Amokläufer“ und „Rockmusik macht aus Kindern Satanisten“ verorten sollte.
Sind soziale Medien Echokammern? Gefährden sie die Demokratie?
Auch hier ist der Gedanke nicht abwegig: Soziale Medien erlauben es, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten. Dass eine Gruppe radikaler als jedes einzelne Mitglied werden kann, ist richtig (siehe „Sexpanzer und Babytod“), aber ist es tatsächlich so, dass diese Gruppen in den sozialen Medien zu Echokammern werden, in denen die Mitglieder nur die Dinge mitbekommen, die ihre eigenen Ansichten bestätigen, Verschwörungstheorien unwidersprochen aufgenommen werden und somit dafür sorgen, dass die Mitglieder immer schwieriger für rationale Argumente zu erreichen sind? Mummeln sie sich in ihren Filterblasen ein?
Tatsächlich ist es für Nutzer sozialer Medien (und Suchmaschinen) schwieriger, sich nur aus einer Quelle zu informieren. Da diese Seiten einem immer Inhalte von mehreren Anbietern zeigen, werden die User eher mit verschiedenen Perspektiven konfrontiert als Leute, die diese Angebote nicht nutzen. Das gilt sogar für die Extremisten: Wer an den Außenrändern der jeweiligen Seiten ist, konsumiert zwar auch eher extremere Nachrichten – aber dabei auch extreme Nachrichten der Gegenseite. Zudem bekommen die meisten Menschen auch heutzutage noch ihre Nachrichten in erster Linie nicht aus den sozialen Medien. Studie um Studie um Studie zeigt, dass soziale Netzwerke eher keine Brutstätten für Echokammern oder Filterblasen sind. Wenn bestimmte Leute Filterblasen bilden, sind es ironischerweise weniger diejenigen, die man mit einer Gefährdung für die Demokratie assoziiert, wie amerikanische Forschungen zeigen: Journalisten in Washington bauen sich ihre eigenen kleinen Echokammern, und es sind eher Demokraten, die ihren Freundeskreis von Leuten säubern, die nicht mit ihnen auf einer politischen Linie sind.
Was ist mit Fake News und toxischen Diskussionen?
Wird man nicht so sehr mit Fake News überschüttet, dass man hirngewaschen wird? Das könnte man glauben, wenn man sieht, wie fanatisch Baerbock-Fans ihre Kandidatin verteidigt haben, obwohl ein wesentlicher Teil ihrer angepriesenen Lebensleistungen ein Fantasiegebilde war. Aber natürlich ist das nicht der Grund. Fake News sind Mittel zum Zweck. Erstens sind Leute eher bereit, Fake News zu glauben, wenn sie ihre vorgegebenen Meinungen bestätigen. Wer sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen will, der macht das nicht, weil ihm Fake News erzählt haben, dass im Impfstoff Hirnkontrollchips versteckt wären. Vielmehr geben ihm diese Falschmeldungen eine „rationale“ Rechtfertigung für seine sowieso schon vorhandene Skepsis. Die Haltung ist aber schon vorher da. Zweitens wissen die Leute, die Fake News teilen, oft sogar, dass diese blanker Unsinn sind. Aber die Meldungen gehen „gegen den Feind“ und sind damit ein ideales Signal für die eigene Seite, dass man fest und unerschütterlich im eigenen Lager steht. Oft werden Fake News aber auch nur geteilt, weil man denkt, sie wären interessant, nicht weil man sie für wahr hält. Sie verbreiten sich auch nicht schneller als echte Nachrichten.
Daher kann man sich fragen, ob Fake News in den sozialen Medien überhaupt so ein großes Problem sind, denn die meisten Nutzer sehen diese Fake News nicht einmal und erfahren selbst erst aus den Mainstream-Medien davon (weil diese sie verbreiten oder groß und breit erzählen, wie fake diese Fake News sind). Wer weiß, wie viele Fake News einen stillen Tod sterben würden, wenn es keine Faktenchecker gäbe, die sie ans Licht zerren.
Das Problem, dass so manche Aussagen, die zunächst als Fake News gebrandmarkt wurden, sich später als wahr herausstellten, wie sich etwa bei der Corona-Pandemie zeigte (Corona ist gefährlicher als die Grippe, Masken und Grenzschließungen hemmen die Verbreitung von Corona, Krankenhäuser haben bei der Meldung von Intensivbetten beschissen usw.), will ich hier mal aussparen.
Warum wirken Diskussionen in den sozialen Medien oft so aggressiv? Facebook und Co. ermöglichen die Konfrontation zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, die sich sonst nicht begegnen (oder zumindest sonst nicht ihre gegenseitigen Haltungen diskutieren). Die schärfsten Beiträge kommen dabei von den Extremisten auf beiden Seiten – und die sind auch im echten Leben Extremisten. Das kriegen wir im Normalfall aber nicht mit, weil sie in ihrem privaten Umfeld zetern. Die sozialen Medien legen so nur offen, was bereits da ist, aber üblicherweise so versteckt geschieht, dass es uns leichtfällt zu glauben, das gäbe es gar nicht.
Aber was ist mit dem Einfluss auf die Wahlen?
Cambridge Analytica lutschte sich selbst nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 heftig den Schwanz: Seine Dienste hätten dafür gesorgt, dass Trump die Wahl gewonnen hätte. Erstaunlicherweise stellten vergleichsweise wenige Journalisten diese Behauptung infrage. Es gibt aber gar keinen Hinweis, dass CA irgendwas bewegt hätte. Schon ein kleiner Blick auf die Wählerverteilung hätte Zweifel aufkommen lassen müssen: Trump hat nicht in den großen Städten gewonnen, in denen die Leute mehr das Internet benutzen (und sowieso eine bessere Anbindung ans Netz haben), die waren fest in der Hand der Demokraten. Er hat bei denen gepunktet, die sich eher wenig im Internet herumtreiben und somit weniger direkter oder indirekter Wahlwerbung in den sozialen Medien ausgesetzt waren.
Es ist verlockend, die Schuld an allerlei Fehlentwicklungen den sozialen Medien zu geben. Sie sind groß, sie sind omnipräsent, sie schwimmen im Geld, gerieren sich als Moralwächter mit zweifelhaften Prioritäten (keine Frauenbrüste – Hasspostings von Islamisten sind aber okay) und ihr Umgang mit unseren Daten lässt oft zu wünschen übrig. Und der Gedanke ist reizvoll, dass ein großer Teil unserer Plagen verschwinden würde, wenn es nur Facebook und Konsorten nicht gäbe. Aber bei aller berechtigten Kritik an diesen Seiten: Sie sind nicht für jedes Elend auf der Welt verantwortlich, und sie greifen so schon oft genug in die Scheiße, dass man es gar nicht nötig hat, irgendwelche zusätzlichen Bedenken zu konstruieren, um ihnen an die Karre pinkeln zu können. Jedes Problem hat eine einfache, aber falsche Lösung. Psychische oder politische Schwierigkeiten wird man also nicht aus der Welt räumen können, indem man bestimmte Arten von Websites verbietet.
Nachdem ich wieder einmal gezeigt habe, dass ich ein totaler Vollpfosten bin, weil ich mir immer wieder für meine Seite Themen aussuche, bei denen ich mich wochenlang durch wissenschaftliche Literatur ackern muss, nehme ich mir jetzt fest vor, beim nächsten Eintrag einfach mal wieder stumpf zu lästern, jawoll.
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit, wäre euch auch sehr verbunden, wenn ihr den Text teilen würdet (damit ich wenigstens ein bisschen VG-Wort-Geld kriege, nachdem ich die Arbeit mache, die viele Journalisten mit vollem Gehalt nicht erledigen), und falls ihr Vorschläge für Blogeinträge, Texte usw. habt, dann immer her damit!
Bis dann!
PS: Es geht langsam auf Weihnachten zu, und ich weiß genau, dass viele von euch noch kein "Bob & Linda" haben, obwohl das ein ideales Geschenk wäre.
Premiummitglied
Danke für die Mühe.
Am Ende ist es dann wie du schon ansprichst: eine Hexenjagd, wie bei Computerspielen, Horrorfilmen etc.