Ein später Liebesbrief
Liebes Stoppelchen,
ich werde nie unser erstes Treffen vergessen. Du, eine kleine, eigentlich ziemlich ängstliche Katze, warst so wild auf Streicheleinheiten, dass du wie ein Wasserfall gesabbert hast vor Freude, als ich dich kraulte. Du warst ganz versessen aufs Schmusen, und ich glaube, du hast mich genauso schnell ins Herz geschlossen wie ich dich. Liebe auf den ersten Blick ist eigentlich ein Klischee, aber irgendwie war es bei uns so.
Als uns das Schicksal später dauerhaft zusammenführte, hast du ganz selbstbewusst bestimmt: Wir teilen uns das Bett. Eine Weile hast du sogar darauf bestanden, auf meinem Kopfkissen zu schlafen, ganz dicht, damit ich immer in deiner Nähe bin. Vor dem Schlafengehen warst du das letzte, was ich gesehen hab, und das erste, wenn ich aufwachte. So konnten wir viel schmusen, und wenn ich mal unterwegs war und woanders übernachtete, fehlten mir deine Nasenküsschen und wie du dein kleines Köpfchen an meiner Hand riebst.
Auch wenn du Fremden gegenüber fast immer sehr schüchtern warst, ein bisschen wurdest du auch zur Diva. Du hast dich lautstark beschwert, wenn irgendetwas nicht stimmte, und dieses Irgendetwas war meistens, dass ich nicht bei dir war und deinen kleinen, eigentlich viel zu dünnen Leib wärmte. Freunde und Verwandte haben meist auf den ersten Blick erkannt, dass wir beide zusammengehören. Ich hab dich oft als meine Ehefrau vorgestellt: Wir teilen ein Bett, aber haben keinen Sex. Aber wir haben uns bedingungslos lieb gehabt, und du hast es viel länger mit mir ausgehalten als alle meine Freundinnen. Wir teilten ja auch so vieles. Mäkelig, träge, mit einem unheimlich zerklüfteten Tagesrhythmus: Wir waren wie geschaffen füreinander, auch wenn du mir oft ein schlechtes Gewissen machen wolltest, wenn ich mich mal um meine Arbeit gekümmert habe und nicht um dich.
Ich hatte noch nie so viel Angst wie vor dem Tag, an dem wir Abschied voneinander nehmen müssen. Ich wusste, dass er kommen wird, aber wie soll man sich darauf vorbereiten? Und nun ist der Tag da und ich bin ein Wrack. Als ich heute mit der leeren Katzenbox nach Hause kam und die leere Stelle auf meinem Bett sah, fing ich an zu heulen. Alle paar Minuten schießen mir die Tränen in die Augen. Ich kann kaum irgendwohin gucken, ohne mir zu denken, dass da eine Katze fehlt. Meine Katze. Mein geliebtes, unersetzliches Mauzi. Für mich die allerbeste Katze der Welt. Mein Verstand sagt mir, dass es richtig war, weil du dich die letzten Tage so gequält hast, auch wenn es zunächst so aussah, als wärst du wieder auf dem Weg der Besserung. Mein Herz ist einfach nur traurig, weil du nicht mehr da bist. Klingt ziemlich egoistisch, nicht wahr?
Du wirst mir unendlich fehlen. Aber ich versuche Trost zu finden aus einer Hoffnung: Es vielleicht geschafft zu haben, dass du die letzten Jahre deines Lebens wirklich glücklich warst.
Ruhe in Frieden, mein kleiner Liebling…
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