Glaubt Gillette an das Beste im Mann?
Ein ähnliches Problem habe ich mit der Sequenz, in der das Lachen über schlüpfrigen Humor mit sexuellen Übergriffen kausal verbunden wird. Mal ganz davon abgesehen, dass ich stark bezweifle, dass die gezeigte Comedy-Szene tatsächlich solche Begeisterungsstürme bei einem männlichen Publikum hervorrufen würde, scheint man bei Gillette grundsätzlich nicht zu verstehen, wie Humor funktioniert. In der Szene tut ein Mann pantomimisch so, als würde er sich auf eine leckere Frau stürzen. Und dann lachen die Männer. Humor arbeitet mit Überraschungen, und der wohl größte und traditionellste Anteil des Humors holt sich das Überraschungspotenzial aus bewussten Grenzüberschreitungen. (Deswegen ist der Humor des Mittelalters auch nach heutigen Maßstäben oft extrem gewalttätig und bösartig, weil bei uns die zu überschreitenden Grenzen in dieser Hinsicht enger gesteckt sind als damals.) Auf die Szene bezogen heißt das: Der Humor speist sich daraus, dass der Mann einen Verstoß gegen eine gesellschaftliche Norm andeutet, weil man eben in unserer Gesellschaft nicht über Frauen herfällt, aber das wiederum auf eine Weise, die keinen tatsächlichen Schaden anrichtet. Das Publikum lacht also gerade deswegen, weil es diese gesellschaftliche Norm kennt und das Verhalten des Mannes als provokante, überraschende Grenzüberschreitung wertet. Diese Grenzüberschreitung ist aber nicht zu extrem: Er fällt eben nicht wirklich über die Frau her, er berührt sie nicht einmal und sie bemerkt es nicht. Es wird also überhaupt kein Schaden angerichtet. Der Charakter bringt pantomimisch eine Lust zum Ausdruck, die er aber nicht auslebt und selbst ins Lächerliche zieht. In einer Gesellschaft, in der Vergewaltigung normal und akzeptiert wäre, würde diese Szene wohl nur Verwirrung stiften, weil niemand verstehen könnte, warum er denn jetzt nicht über die Frau herfällt und sie vergewaltigt, wenn er sie so appetitlich findet. Kurz gesagt: Das Lachen ist gerade ein Ausdruck dafür, dass sexuelle Übergriffe gesellschaftlich nicht akzeptabel sind.
Das ist aber nicht alles: Die Macher des Spots scheinen zu glauben, dass Sexualstraftäter eben deswegen ihre Taten begehen, weil sie sich von ihrem Umfeld ermutigt fühlen. Das mag zum Beispiel in Indien der Fall sein, wo Vergewaltigungen von Frauen auch gerne mal als Strafen vom Ältestenrat eines Dorfes ausgesprochen werden, wenn sich der Mann einer Familie eines Vergehens schuldig gemacht hat. In der westlichen Welt ist das aber gar nicht so: Die meisten Sexualstraftäter denken laut psychologischen Untersuchungen gar nicht an die gesellschaftlichen Erwartungen, wenn sie ihre Taten moralisch bewerten. „Man sollte Männern beibringen, nicht zu vergewaltigen“, wie es oft in feministischen Kreisen skandiert wird, ist unsinnig, weil hier niemand Männern das Vergewaltigen beibringt oder ihnen auch nur sagt, dass das in Ordnung wäre. Vergewaltiger stehen in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten, vielleicht eine Stufe höher als Kinderschänder. Jemand, der keine Frau rumkriegt, gilt gesellschaftlich als Totalversager – und dies noch mehr, wenn er den Sex erzwingen will. Das ist nichts, was für die Zurschaustellung der eigenen Männlichkeit erstrebenswert wäre. Männliche Vergewaltiger sind also eine spezielle und kleine Gruppe von Männern, es gibt kein Männlichkeitskontinuum, bei dem besonders viel Männlichkeit dieses Verhalten hervorrufen würde, genauso wenig wie besonders ausgeprägte Weiblichkeit Frauen zu Kindsmörderinnen machen würde.
Auch hier wundert es also nicht, wenn sich Männer von dem Clip unfair dargestellt fühlen, wenn ihnen eine Mitschuld an sexuellen Übergriffen gegeben wird, nur weil sie über frivole Witze lachen.
Der Werbespot gibt an der Stelle auch ein Rätsel auf: Eine Frau läuft an einem jungen Mann vorbei, der will ihr hinterhergehen – und wird von seinem Kumpel aufgehalten. Aber warum? Nichts deutet an, dass der Mann der Frau etwas Schlimmes antun wollte. Vermutlich wollte er sie nur ansprechen. Das ist aber nichts Verwerfliches. Irgendwer muss ja wen mal ansprechen, wenn die Menschheit überleben soll, und wenn das nicht erwünscht ist, kann man ja auch nein sagen. Es ist zwar nicht angenehm, einen Korb zu verteilen, aber gelegentlich unangenehme Dinge tun zu müssen, gehört nun mal zum Leben, gerade wenn man erwachsen und selbstverantwortlich ist. Der junge Typ macht auch nicht den Eindruck, dass er eine Ablehnung nicht akzeptieren würde. Ja, ich weiß, auf Twitter würden sich bestimmt wieder lauter Frauen melden, dass sie nie und nimmer angesprochen werden wollen, außer wenn sie doch wollen, was dann allerdings keiner weiß, weil sie selbst nicht wissen, wann sie denn Bock darauf hätten, angesprochen zu werden, und wie man das dann erkennen kann. Aber gehen wir mal von normalen Menschen aus: Es könnte doch sein, dass einem genau der Traumpartner über den Weg läuft, und dann würde man sich in den Arsch beißen, wenn sich in dem Moment keiner traut, Kontakt aufzunehmen. Ich sehe in Berlin jedenfalls oft Zettel an Laternen, auf denen nach Leuten gesucht wird, die man irgendwo in der Nähe mal gesehen hat, aber sich nicht traute, sie anzusprechen. Jeder, der gerade einen Partner hat und ihn nicht gerade auf einer Dating-Seite im Internet aufgegabelt hat, wird ihn vermutlich in einer Situation kennengelernt haben, in der viele andere sagen würden, dass sie in dem Augenblick auf keinen Fall angesprochen werden wollen. Es kann ja nun auch nicht die Regel sein, dass wir uns gegenseitig dauernd davon abhalten, Kontakt zum anderen Geschlecht aufzunehmen.
Jetzt gibt es tatsächlich Leute, die durch Tweets wie „Die Reaktionen auf das Video beweisen, dass es nötig war!“ geistige Insolvenz anmelden und es nicht einmal merken. Zunächst ist das Argument schon formal ein unzulässiger Tiefschlag: Eine Kafkafalle sieht eine Abwehrhaltung auf einen Vorwurf als Beleg für diesen Vorwurf, was natürlich ein Zirkelschluss ist, welcher überhaupt nicht die Möglichkeit offenlässt, dass man sich auch einfach irren könnte.
Und dann ist es natürlich auch gar nicht abwegig, dass viele Männer sich von diesem Video abgestoßen fühlen. Eine Werbung soll den Zuschauer direkt ansprechen, und so ist auch dieser Spot eine direkte Ansprache an diejenigen, die ihn sehen. Und was wird ihnen gesagt? Dass sie für das Elend der Welt verantwortlich sind, wenn sie ihre Jungs nicht vor jeder Rauferei bewahren, und an Vergewaltigungen Schuld tragen, wenn sie über „M*A*S*H“ oder „Eine schrecklich nette Familie“ lachen. Frauen würden sich ebenfalls verbitten, dass eine Werbung ihnen erzählt, sie sollten doch bitte aufhören, Liebeskomödien zu gucken, weil das die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten begünstigen würde.
Normales, harmloses und unproblematisches männliches Verhalten zu pathologisieren, weil man sich in fehlerhaft konstruierten Kausalzusammenhängen verrennt und simple Feindbilder aufbauen möchte, um sich selbst als Streiter für eine bessere Welt zu profilieren, muss einfach kritisiert werden – schon weil man so einer Lösung der Probleme kein Stück näherkommt, da man von vollkommen falschen Voraussetzungen ausgeht. Zudem kann man für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mehr tun, wenn man das Verständnis und die Hilfe für Schwächere stärkt, ohne gleichzeitig große Teile der Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen und als Buhmann zu präsentieren.
Das Gillette-Video ist ein Symptom einer umfassenderen Bewegung aus dem modernen feministischen Spektrum, die eine Unmöglichkeit fordert: ein Rosinenpicken der Männlichkeit. Von Männern wird einerseits gefordert, gewisse typisch männliche Verhaltensweisen aufzugeben, andererseits wird (oft mehr oder weniger stillschweigend) erwartet, typisch männliche Verhaltensweisen weiterhin zu zeigen, wenn sie genehm sind – meistens bei der Partnerwahl. Dabei sind viele dieser Verhaltensweisen jeweils zwei Seiten einer Medaille.
Man kann nicht von einem Mann erwarten, dass er einerseits in Diskussionen immer die Klappe hält und Frauen nie widerspricht und andererseits dennoch durchsetzungsstark und somit beruflich erfolgreich ist. Ein Mann kann nicht frei von sämtlichem Aggressionspotenzial sein und dennoch seiner Freundin das Gefühl geben, sie in einer dunklen Gasse vor Übeltätern beschützen zu können. Ein Mann kann auch nicht immun gegenüber sexuellen Reizen und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Liebhaber sein. Und im Zweifelsfall wird immer das Primat des sexuellen Erfolgs siegen. Fürs Bett wollen die meisten Frauen dann eben doch lieber den echten Mann. Und der muss dann nicht mal glattrasiert sein, um für eine Frau das Beste zu sein, was ein Mann zu bieten hat.