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Ganoven der Weltgeschichte: Alves Reis - Portugals Self-made-Millionär

Am 4. Dezember 1925 überprüft ein Inspektor der portugiesischen Notenbank die Bareinlagen der Banco de Angola e Metrópole bei einer Geldwechselfirma in Porto. Zu später Stunde finden die Fahnder und Angestellten zufällig das, was sie gesucht haben: Geldscheine mit identischen Seriennummern. Rasch werden sämtliche Banken Portugals angewiesen, ihre Banknoten nach Seriennummern zu ordnen, wobei noch viele weitere Dopplungen entdeckt werden. Doch die Banknoten sind perfekt – und eigentlich streng genommen keine Fälschungen.

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Der Mann hinter der Geldschwemme heißt Artur Virgílio Alves Reis, meist nur Alves dos Reis oder Alves Reis genannt. Der 1896 geborene Alves Reis ist der Sohn eines nicht sonderlich erfolgreichen Bestatters und wollte eigentlich Ingenieur werden. Doch das Studium bricht er 1916 schon im ersten Jahr ab, um eine Frau aus gutem Hause zu heiraten. Dann fälscht er ein Diplom der fiktiven „Polytechnic School of Engineering“ in Oxford und emigriert nach Angola, zu der Zeit eine portugiesische Kolonie.

Angola ist dann auch der Zielort seiner ersten wesentlichen Straftat. Er hatte zuvor eine amerikanische Automobilhandelsfirma gekauft, die ihm dafür gute Dienste erweist. In Angola wirft er sein Auge auf Ambaca, eine Eisenbahngesellschaft. Der geht es 1922 gar nicht gut und Teilhaber und Gläubiger sind zutiefst besorgt. Um das Unternehmen zu retten, gewährt die portugiesische Regierung ein Darlehen von 100.000 US-Dollar. Alves Reis kauft von Portugal aus über das Konto, das er dank seines US-Autohandels in New York hat, die angolanische Ambaca mit einem ungedeckten Scheck. Während dieser Scheck über den Atlantik schippert, transferiert er die 100.000 US-Dollar von Ambaca auf sein US-Konto, wodurch der Scheck beim Einlösen gedeckt ist. Von dem so ergaunerten Geld kauft er dann Anteile an einer angolanischen Bergbaugesellschaft, aber bevor er sie ganz kontrollieren kann, fliegt die Masche auf und er wird wegen Veruntreuung verhaftet.

Aufgrund von Verfahrensfehlern sitzt er nur 54 Tage im Gefängnis, aber dort schmiedet er den Plan für seinen nächsten Coup, der besonders groß werden soll. Doch dafür braucht er Beziehungen, und die kann er schließlich knüpfen. Seine Helfer, die später beteuern werden, nichts von der Illegalität seines Vorhabens gewusst zu haben, sind unter anderem der niederländische Finanzier Karel Marang van Ijsselveere, der deutsche Spion Adolf Gustav Hennies und José Bandeira, der Bruder des portugiesischen Abgesandten in den Niederlanden, António Bandeira.

Mit diesen Beziehungen kann er seinen Plan umsetzen. Er fälscht einen Vertrag mit der Banco de Portugal, der zu dem Zeitpunkt halbstaatlichen Zentral- und Notenbank des Landes. In diesem Vertrag wird ihm unter strengster Geheimhaltung das Recht zugestanden, für die wirtschaftliche Entwicklung Angolas Geld drucken zu dürfen, im Austausch für ein angebliches Darlehen eines Entwicklungskonsortiums. Die nötigen Unterschriften des Gouverneurs und des Direktors der Banco de Portugal kann er einfach von echten Geldscheinen abmalen, dank seiner Kontakte ist er auch in der Lage, den Vertrag dann sowohl von einem portugiesischen Offiziellen als auch vom britischen, deutschen und französischen Konsulat notariell beglaubigen lassen.

Mit diesem Vertrag (und einigen echten Geldscheinen als Muster) fragt er dann schließlich bei der britischen Banknotendruckerei Waterlow & Sons an, die bereits die echten Banknoten für die Banco de Portugal gedruckt hatte und daher sowohl über die nötigen Druckplatten als auch das authentische Papier verfügt. William Waterlow findet es zwar etwas seltsam, dass nicht nur das bisherige Design der 500-Escudo-Scheine verwendet werden soll, sondern auch schon bereits vergebene Seriennummern, doch ein Brief von ihm an den Präsidenten der Banco de Portugal geht verloren. Zudem spezifiziert der gefälschte Vertrag, dass die Banknoten nach Lieferung durch die Druckerei noch in Lissabon den Aufdruck „Angola“ bekommen würden, bevor man sie in die Kolonie bringen würde. Unter diesen Voraussetzungen stimmt Waterlow zu und übernimmt den Auftrag. Zum Preis von 1500 Pfund plus Verpackung und Versand druckt man 200.000 Banknoten im Wert von jeweils 500 Escudo und verdoppelt damit fast die Zahl dieser Geldscheine. Der Nennwert dieser Lieferung entspricht beinahe einem Prozent des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts.

Mithilfe der diplomatischen Verbindungen seiner Komplizen kann die Lieferung der frisch gedruckten Banknoten nach Portugal verschleiert werden. Natürlich bekommen die Geldscheine den versprochenen Aufdruck nicht. Stattdessen wird begonnen, das Geld in andere portugiesische und ausländische Scheine und Münzen umzutauschen. Alves Reis, der selbst nur ein Viertel des Vermögens für sich beansprucht, und seine Partner sind aber nicht nur darauf fixiert, sich persönlich zu bereichern: Sie reisen tatsächlich nach Angola, investieren dort kräftig, kaufen Land und versuchen aufrichtig, dort die Wirtschaft zu beleben. Alves Reis wird dort als Held und Retter gefeiert und gar als „portugiesischer Cecil Rhodes“ bezeichnet. Auch in Portugal selbst wird viel gekauft und investiert. Zur Unterstützung seiner Aktivitäten erwirbt Alves Reis zunächst Anleihen der Portugiesischen Handelsbank, ist aber tief enttäuscht, als die Bank bewaffnete Konflikte in Angola unterstützt. Also gründet er im Sommer 1925 mithilfe gefälschter Dokumente, um die ganze Sache zu beschleunigen, die Banco de Angola e Metrópole. Er ist zu dem Zeitpunkt gerade erst 28 Jahre alt.

Mit dieser Bank will er schließlich die letzte Phase seines Plans umsetzen. Die Banco de Portugal, die portugiesische Zentralbank, ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur in staatlichem Besitz. Jeder kann Aktien der Bank erwerben und somit Teilhaber werden. Darauf basiert die brillante Idee von Alves Reis: Er beginnt über Strohmänner, Aktien der Banco de Portugal zu kaufen. Mit 45.000 Aktien könnte er die Kontrolle über die Bank erlangen und anschließend seine clevere Geldfälschung im Nachhinein legalisieren. Er schafft es bis Ende 1925 über José Bandeira, 10.000 Aktien zu erwerben.

Doch seine Aktivitäten wecken Misstrauen. Dabei sind es zunächst nicht die Geldscheine selbst: Die Zentralbank merkt zwar, dass zu viele Geldscheine im Umlauf sind, aber sie finden keine gefälschten Banknoten. Jeder untersuchte Schein ist absolut perfekt.

Aber die großzügigen Investitionen von Alves Reis und seinen Partnern in Angola (und der fehlgeschlagene Versuch, die große portugiesische Wochenzeitung Diário de Notícias zu kaufen) nährt Befürchtungen, dass es sich um eine groß angelegte Geheimdienstaktion des Deutschen Reichs handeln könnte, welchem man ein großes Interesse an Angola unterstellt. Die Inhaber der Zeitung O Século setzen ihre Redakteure darauf an, die Sache zu untersuchen. Insbesondere finden die Redakteure es seltsam, dass die Banco de Angola e Metrópole so günstige Kredite vergeben kann, obwohl sie gar nicht genug Kunden hat, um sich diese Großzügigkeit leisten zu können.

Kurz bevor die Berichte in der Zeitung erscheinen, eröffnet auch noch der staatliche Inspektor für das kommerzielle Bankwesen eine Untersuchung wegen der rätselhaften Ankäufe von Anteilen an der Banco de Portugal. Das führt dazu, dass Bandeira seine Aktienkäufe stark zurückfährt – aber Reis gefälschte Berichte schickt, in denen er die tatsächlichen Ankaufszahlen aufbläht, wodurch dieser glauben musste, mehr Anteile zu besitzen. Wer hätte gedacht, dass Ganoven nicht zu trauen ist?

Die Berichte in der O Século werden aufmerksam gelesen – auch von einem Angestellten eines Geldwechslers in Porto. Der Umtausch von Escudos in fremde Währungen ist zu der Zeit eigentlich verboten, wird aber toleriert und ausgiebig praktiziert, natürlich mit kräftigen Aufschlägen. Und das nutzt die Banco de Angola e Metrópole aus, um das frisch gedruckte Geld zu waschen, unter anderem auch bei diesem besagten Geldwechsler in Porto. Natürlich werden die Aufzeichnungen über die Transaktionen vernichtet, immerhin ist der Geldumtausch immer noch illegal. Das kommt natürlich auch der Bank von Alves Reis sehr gelegen.

Der aufmerksame Angestellte hat aber nach all den Zeitungsartikeln einen Verdacht: Die Geldscheine, die die Bank bei ihm einliefert, müssen gefälscht sein. Er selbst kann keine gefälschten Scheine entdecken, auch die Zweigstelle der Banco de Portugal in Porto findet keinen Hinweis auf Blüten, aber der Verdacht ist immerhin gravierend genug, um ihn ans Hauptquartier der Notenbank in Lissabon zu melden. Von dort macht sich ein Inspektor auf den Weg, um die Sache genauer zu überprüfen. Es ist der anfangs erwähnte 4. Dezember 1925.

Zwei Tage später wird das Bankvermögen von Alves Reis beschlagnahmt. Eine Nachfrage bei Waterlow & Sons in London hatte seine Aktion endgültig auffliegen lassen. Zu der Zeit ist Alves Reis zusammen mit seinem Komplizen Adolf Hennies gerade auf einem Schiff auf dem Weg von Angola nach Portugal. Als sie erfahren, dass ihnen bei ihrer Ankunft im Hafen die Verhaftung droht, reagieren beide grundverschieden: Hennies gelingt es, unbemerkt zu verschwinden und seine Identität zu wechseln. Seinen Anteil an dem ergaunerten Vermögen kann er größtenteils retten.

Alves Reis hingegen besteht darauf, sich zu stellen und sich selbst zu verteidigen. Er wird schnell verhaftet, aber der Prozess gestaltet sich schwierig. Sowohl Richter als auch die Öffentlichkeit haben Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass die ganze Aktion ohne Mithilfe von Insidern aus der Banco de Portugal und hohen Beamten oder gar Regierungsmitgliedern gelingen konnte. Alves Reis gelingt es, dieses Misstrauen mit weiteren gefälschten Dokumenten anzuheizen. Der Generalstaatsanwalt und die Notenbankpräsidenten müssen ihren Hut nehmen. Fast fünf Jahre dauert es, bis ein Urteil gefällt werden kann. Artur Alves dos Reis wird 1930 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Mai 1945 entlässt man ihn aus der Haft. Ihm wird eine Stelle als Bankangestellter angeboten, die er jedoch ablehnt. Nur zehn Jahre später stirbt er an einem Herzinfarkt.

Sein Komplize José Bandeira muss für 15 Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung schafft er es, sich ein bescheidenes Leben aufzubauen. 1960 stirbt auch er.

Adolf Hennies flieht nach Deutschland. Er verliert bald sein Vermögen, zum Teil durch Fehlinvestitionen, zum Teil wird er von einem Freund beschissen. Verarmt stirbt er bereits 1936 in Berlin.

Karel Marang wird in den Niederlanden zu 11 Monaten Haft verurteilt, siedelt nach Frankreich über, ohne die Strafe anzutreten, kauft dort einen kleinen Elektro-Hersteller und wird angesehener Fabrikant. Er stirbt wohlhabend im Februar 1960.

Die Verhaftung von Alves Reis ist jedoch nicht das Ende des Dramas für Portugal. Die Banco de Portugal ordnet an, dass alle 500-Escudo-Scheine innerhalb von 20 Tagen eingezogen werden. Da man die falschen Scheine nicht von den echten unterscheiden kann, müssen alle eingesammelt werden. Das sowieso schon angeschlagene Vertrauen in die Währung schwindet noch weiter, die sowieso schon hohe Inflationsrate steigt.

Politisch sind die Auswirkungen noch gravierender. Der Skandal schwächt auch den ohnehin wackeligen Rückhalt der Bevölkerung für die Republik und trägt zu einer weiteren Destabilisierung des Landes bei. 1926 kommt es zum Putsch des Generals Gomes da Costa, das Land gerät unter die Diktatur einer Militärjunta. António de Oliveira Salazar, zunächst Finanzminister der Militärregierung und dann Ministerpräsident, formuliert eine neue autoritäre Verfassung, die 1933 in Kraft tritt. Salazar regiert den Estado Novo (Neuen Staat) diktatorisch bis 1968, erst 1974 wird die Diktatur selbst durch die Nelkenrevolution überwunden.

Die Geldfälschung des Alves Reis war die zweitgrößte der Menschheitsgeschichte. Größer war nur noch der Versuch Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die Wirtschaft der alliierten Länder durch gefälschte Banknoten zu destabilisieren, wobei insbesondere britische Pfundnoten sehr professionell von KZ-Insassen gefälscht wurden.

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