Klopfer in Tokio
Betthase
(Geschrieben am 30. März 2006 um 15.41 Uhr)
Tja, heute gibt's nichts zu schreiben. Aufgrund meines Gesundheitszustands hab ich mich entschlossen, im Bett zu bleiben. Ich hab heute 21 Stunden geschlafen, meine Taschentücher gehen langsam zur Neige und ich könnte mich prügeln, dass ich so viel Zeit mit Kranksein vergeude. Wenigstens geht es mir jetzt etwas besser, und übergeben hab ich mich heute auch noch nicht (allerdings hab ich heute auch nichts gegessen).
Eigentlich hätte ich ja Lust auf etwas Obst, aber das verkneife ich mir besser. Eine Banane kostet hier etwa 2,50 Euro, eine Mandarine auch noch etwa 2,15 Euro.
Ich bin ja auch leicht enttäuscht vom Fernsehprogramm. Ein Sender bringt abends immer Hollywoodfilme im Original mit japanischen Untertiteln. Gestern kam Space Cowboys, heute nur irgendein Footballfilm von Oliver Stone.
Heut ist ein guter Tag zum Sterben
(Geschrieben am 31. März 2006 um 19.04 Uhr)
Heute ging es wieder nach Akihabara, weil ich diesmal einige Besorgungen machen wollte. "Nanu, will der uns jetzt mit alten Kamellen langweilen?", fragt ihr euch sicherlich. Und wer mich kennt, der weiß, dass ich das ohne mit der Wimper zu zucken machen würde. Aber lest einfach trotzdem weiter.
In den Waggons der Yamanote-Linie sind über den Türen jeweils zwei Flachbildschirme. Auf dem einen läuft meistens Werbung, auf dem anderen wird die Strecke angezeigt, die nächste Station und wann der Zug an den nächsten Bahnhöfen eintreffen wird. Ebenfalls angezeigt wird aber auch, bei welchen Bahnlinien Verspätungen auftreten und aus welchen Gründen. (In Japan geht das noch, weil Züge dort fast immer pünktlich kommen. Das ist der japanischen Kunst der Miniaturisierung zu verdanken. Unter dem Fahrersitz steckt ein kleiner Samurai, der dem Lokführer die Eier absäbelt, wenn er trödelt.) Jedenfalls waren heute gleich fünf Bahnlinien von Verspätungen betroffen, und alle aus demselben Grund: "Accident".
Allerdings ist sofort klar, dass es sich dabei nicht um Unfälle handelt, es haben sich Leute bewusst dafür entschieden, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Normalerweise wird auch die Yamanote gerne dafür benutzt, das hab ich aber zumindest in diesem Jahr noch nicht feststellen können. Vor einigen Jahren bat die Verwaltung des Bahnhofs Shinjuku auf einem Schild angeblich auch darum, wenigstens nicht zur Hauptverkehrszeit auf die Gleise zu springen, das Schild verschwand allerdings recht schnell wieder. Schade, ich hätte gern gewusst, ob es was gebracht hätte.
In Akihabara machte ich meine Einkäufe (leider hab ich nicht alles gefunden - Pech) und suchte dann das Tokioter Verkehrsmuseum auf. Die Tickets für das Museum löst man passenderweise am Ticketautomaten, innen schmeißt man sie dann aber doch nur in eine normale Pappbox. Der Atmosphärenbonus geht dabei wieder etwas verloren, schade. Das Museum selbst hat mir aber sehr gefallen, da es anders als die meisten Museen nicht nur zum Angucken, sondern auch zum Mitmachen einlädt: So gibt es Fahr- und Flugsimulatoren, Lokführerstände, Nachbildungen von Abteilen zum Ausprobieren des Sitzkomforts, Modellbahnen und so einiges mehr. Den Kindern dort hat es jedenfalls riesigen Spaß gemacht.
Nach dem Ausflug ins Museum taten mir dann aber auch die Füße höllisch weh, weswegen ich mich auf den Weg zurück ins Hotel machte. Ich hatte das Pech, im Zug stehen zu müssen, die volle halbe Stunde lang. Die Linien, die wegen der Unfälle nicht fuhren, waren übrigens immer noch nicht fahrbereit.
Bevor ich ins Hotel ging, besorgte ich mir noch in einem Restaurant mit schottischem Namen frittierte Kartoffelstäbchen, Hähnchenmedaillons und ein limonadenhaltiges Erfrischungsgetränk. Kurz: Ich war bei McDonalds. Im Hotel stellte ich dann noch fest, dass das Zimmermädchen die Taschentuchbox im Zimmer nicht neu aufgefüllt hatte. Ich muss ihr wohl einen Zettel schreiben.
Ich ging schließlich ins Bett, denn gesund bin ich immer noch nicht, und mein Husten ist schlimmer geworden. Wenigstens konnte ich ein bisschen schlafen.
Wieder was Neues
(Geschrieben am 2. April 2006 um 19.30 Uhr)
War mein größtes Problem bisher der Schnupfen, so ist es jetzt mein Husten. Ich hab inzwischen schon Bauchmuskelkater und bin hin- und hergerissen zwischen der Freude, bald wieder zu Hause meine Krankheit auskurieren zu können, und der Trauer, dass ich manche Dinge in Tokio wohl nicht mehr schaffen werd. Da es gestern aus diversen Gründen nicht mit einem Blogeintrag geklappt hat, gibt's heute dafür einen längeren.
Am Samstag ging's zum zweitbelebtesten Bahnhof Tokios: Ikebukuro. Als ich am Bahnsteig stand, beobachtete ich wiederholt ein sehr merkwürdiges Verhalten, was mir wohl nie jemand schlüssig erklären kann: Die Japaner rennen wie die Blöden, um den Zug zu erreichen, schmeißen sich in die Tür und zwängen sich gerade so noch rein. Das könnte ich vielleicht noch verstehen, wenn der Zug nur alle halbe Stunde käme - aber die Yamanote fährt alle zwei bis drei Minuten.
Ikebukuro ist international nicht ganz so bekannt wie Shibuya und Shinjuku, was vielleicht daran liegt, dass es hier nicht unbedingt etwas Besonderes gibt: diverse Kaufhäuser, eine Art Vergnügungsmeile mit Spielhallen, Geschäften und vielen Leuten, die einem Werbung in die Hand drücken.
Bei der Gelegenheit möchte ich auch noch etwas über japanische Kaufhäuser sagen. Ein Autor von Japan-Reiseführern meinte mal, in einem japanischen Kaufhaus könnte man alles finden. Das stimmt so nicht. Die meisten japanischen Kaufhäuser sind für Männer der wahre Horror. In den Untergeschossen gibt es immer Fressalien, dabei auch so schöne Sachen wie lebende Tintenfische. Im Erdgeschoss (in Japan immer gleichbedeutend mit der ersten Etage) findet frau Kosmetik und Accessoires. Die Stockwerke 2-4 sind nur für Frauenkleidung. Im 5. Stock finden auch die Männer was zum Anziehen, allerdings ist es nicht unüblich, dass hier auch noch etwas für die Frau zu finden ist. Der 6. Stock sind Kindersachen, Spielzeug und Frauenklamotten, im 7. gibt es Zeug für die Wohnung, eventuell etwas Sportzubehör und im Allgemeinen auch noch Kleidung für die Frau. Im 8. Stock sind dann Restaurants. (Die Etagennummern können natürlich von Kaufhaus zu Kaufhaus abweichen, Fakt ist aber, dass diese Dinger im Wesentlichen dazu da sind, Frauen einzukleiden.) Eine Elektronikabteilung gibt es in den meisten Kaufhäusern nicht.
Zum Glück gibt es Tokyu Hands, eine Kette von Kreativkaufhäusern, in denen man Spielzeug, Kostüme, Handyschmuck, Heimwerkermaterialien, Zeichen- und Designkram und so einiges mehr finden kann. Einige meiner schönsten und sinnlosesten Besitztümer stammen aus Tokyu Hands Kaufhäusern. Leider ist es immer schwierig, in Geschäften zu fotografieren.
Ikebukuro ist stolz auf seine Sunshine City, ein wohlklingender Name für diverse Gebäude, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben und sich auch gar nicht ähnlich sehen. Das "Sunshine 60"-Hochhaus ist das höchste und bekannteste Gebäude der Sunshine City. In seinem Inneren sind viele Restaurants, Klamotten- und Spielzeuggeschäfte untergebracht, außerdem wird an der Fassade ein "World Import Mart" angekündigt. Finden tut man da drin allerdings keinen Laden, den man wirklich sucht, hab ich feststellen müssen. Die Wegweiser haben da überhaupt nicht weitergeholfen.
Jedenfalls machte ich in Ikebukuro einige Einkäufe, spendete etwas für die Erdbebenopfer in Niigata und machte mich wieder auf den Weg ins Hotel.
Heute war es dann an der Zeit für etwas Kultur. Im Yoyogi-Park liegt der Meiji-Schrein, den ich (wenn ich schon keine Zeit für einen richtigen Tempel hatte) besuchen wollte. Der Meiji-Kaiser war derjenige, in dessen Amtszeit der Untergang des Shogunats fiel und Japan den Anschluss an den Rest der Welt fand, um nicht kolonialisiert zu werden. So wurde zum Beispiel nach europäischem Vorbild die erste japanische Verfassung in Kraft gesetzt.
Der Kaiser starb 1912, seine Frau 1914, und 1920 wurde ihnen zu Ehren dieser Shinto-Schrein errichtet, in dem seitdem ihre sterblichen Überreste aufbewahrt werden. Das Schreingebäude wurde im Krieg zerstört und später neu erbaut, was touristisch gesehen wohl nicht die schlechteste Entscheidung war: Ich habe noch nie so viele Nichtjapaner auf einem Haufen in Tokio gesehen.
Der Yoyogi-Park liegt am Bahnhof von Harajuku. Harajuku gilt als eines der hippen Modeviertel für Punks und Gothic Lolitas, inzwischen aber auch für Hip Hop. Die japanische Idee von Punk hat nicht viel mit Aussteigen oder Ablehnung von Kommerz zu tun. In japanischen Punk-Shops kann man Unsummen für seine Protestklamotten bezahlen, auch wenn das nicht überall so sein muss. Gothic Lolitas sind dagegen einfach Gruftiemädels, die sich in weite, ausladende Rüschenkleider schmeißen und mit "Lolita" so gar nichts zu tun haben. Hauptkonzentrationspunkt des ganzen Spektakels ist die Takeshita-Dori, eine kleine Fußgängerzone, deren Bedeutung man schon daran erkennt, dass sie einen Straßennamen hat, was in Tokio eine Seltenheit ist. Wenn man sich durch die Menschenmassen dort quetscht (in denen sowohl Punks als auch Gothic Lolitas die absolute Minderheit stellen) und die Geschäfte auch nur von außen anguckt, kriegt man schon einen ziemlich guten Eindruck davon, was bei Japans Jugend so angesagt ist.
Am Bahnhof von Harajuku befindet sich auch eine kleine Brücke, von der es heißt, dass sich jeden Sonntag unzählige Cosplayer, Punks, Gothlolis und junge Bands dort versammeln, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. In Wirklichkeit ist das seit Jahren rückläufig, und die wenigen Verkleideten werden von der Zahl der Fotografen spielend um das Fünf- bis Zehnfache übertroffen.
Nach dieser Ernüchterung ging es nach Shibuya. In Shibuya ist die berühmte große Kreuzung, über die bei einer Grünphase schätzungsweise einige hundert Leute marschieren. Um zu dieser Kreuzung zu gelangen, muss man den Bahnhof am Hachiko-Ausgang verlassen. Dieser Ausgang ist zu Ehren eines Hundes benannt, der sein Herrchen (einen Uniprofessor) jahrelang vom Bahnhof Shibuya abholte. Der Professor starb 1925, der Hund jedoch kam weitere 10 Jahre täglich zum Bahnhof und wartete auf sein Herrchen, bis er schließlich selbst aus dem Leben schied. Hachiko wurde zum Inbegriff des treuen Hundes und steht heute ausgestopft in einem Museum. Vor dem Bahnhof gibt es eine Statue von ihm, die eine Replik einer Figur darstellt, welche noch zu Hachikos Lebzeiten an dieser Stelle stand, im Krieg aber eingeschmolzen wurde.
Shibuya selbst ist wieder ein typisches Geflecht aus Kaufhäusern, Geschäften, Restaurants, kleineren Spielhallen und CD-Läden, gilt aber als jünger und moderner als Shinjuku.
Zusatz
Am Tag der Abreise musste ich recht früh aufstehen, um meinen Bus zum Flughafen zu schaffen. Da man ja nie weiß, wie schlimm der Berufsverkehr ist, fährt man also schon mal viereinhalb Stunden vor Abflugzeit los. Während der Fahrt machte ich dann auch ein paar Fotos, um mir die Zeit zu vertreiben. Der Verkehr war übrigens nicht sehr stark, weswegen ich also viel zu früh am Narita-Airport ankam.
Als ich beim Flughafen ankam, checkte ich natürlich erst einmal mein Gepäck ein. Ich wurde dabei aus der Reihe gewunken, damit eine süße kleine Japanerin meinen Koffer untersuchen konnte. (Ich weiß nicht, ob ich so verdächtig aussehe oder ob die das machen, weil ich bei meiner vorherigen Reise einen dicken Stapel Mangas mitnahm und damals schon auf dem Flughafen genauer überprüft wurde, weil die sich beim Röntgen keinen rechten Reim auf den Klotz machen konnten.) Ich hatte für ein paar Freunde natürlich diverse Sachen eingekauft, unter anderem zwei Eureka-Seven-Figuren. Um die in meinen Koffer zu kriegen, hab ich ihre Verpackung weggeschmissen und sie einfach oben auf meine Klamotten gelegt. Und natürlich macht die kleine Japanerin den Koffer auf, sieht die Figuren und fängt an zu lachen. Ich grinste zurück und durfte dann meinen Koffer endlich einchecken. Ich frag mich, ob sie später von mir erzählt hat in der Kantine.
Weil noch so viel Zeit war, wollte ich erst einmal was essen. Also bin ich dann zum McDonald's gegangen (es war mittlerweile 11 Uhr) und versuchte der netten Fachkraft hinter dem Tresen irgendwie begreiflich zu machen, dass ich gerne ein paar Pommes und ein paar Chickennuggets hätte. Sie gestikulierte wild, zeigte auf die Uhr und ein Papierchen, auf dem nur irgendwelcher Frühstückskram war. Die hatten aber nicht mal irgendwelche Croissants, so dass ich mir einen McMuffin hinter die Kiemen schieben musste. Ich muss immer noch würgen, wenn ich an den Geschmack denke.
Als ich dann weiter umherging, probierte ich noch einen öffentlichen Massagesessel aus. Man schmeißt 100 Yen ein, pflanzt sich in den Sessel, steckt seine Arme durch ein paar Manschetten, und dann geht's ab. Es fühlte sich an, als wenn jemand meinen Puls abdrücken wollte und mir dabei gleichzeitig ins Kreuz trat. Sehr entspannend. Ich verkniff mir dann weitere Experimente und machte ein paar Fotos auf dem Aussichtsdeck.
Irgendwann war die Wartezeit endlich vorbei und die Boeing nach London war endlich da. Ich saß ganz hinten (wollte ich so, weil da nur zwei Sitze nebeneinander sind), diesmal blieb der Sitz neben mir aber frei. Herrlich! Dafür war mal wieder der Sitz vor mir kaputt, und ein fieser Draht, der offenbar die Sitztasche versteifen sollte, ragte böse heraus, verhakte sich unter mein Hosenbein, als ich aufs Klo gehen wollte, und rupfte mir mein Bein auf. Irgendwas ist immer.
In London Heathrow war mal wieder mittlere Katastrophe. Natürlich wieder die elendig langen Sicherheitskontrollen, und dann war das Wetter so schlecht, dass einer der beiden Runways nicht benutzt werden konnte, was den Flugplan up fuckte, um es mal ein bisschen englisch auszudrücken. Der Flug nach Berlin würde sich um unbestimmte Zeit verzögern, aber auf jeden Fall fliegen... Man wüsste nur noch nicht, an welchem Gate, weil das Flugzeug erst noch auf dem Weg nach London war und man nicht wusste, wann und wo es landen würde, bla bla bla. Also pflanzte ich mich erschöpft in die Wartezone und sah mit wachsender Beunruhigung, dass die Anzeigetafeln, wo die Gatenummer stand und wann man an Bord gehen darf, die Flüge nicht etwa nach der tatsächlichen Abflugzeit ordneten, sondern nach der ursprünglichen. Und während es immer später wurde, rutschte mein Flug irgendwann komplett von der Tafel, was mir innerlich und einigen anderen Mitpassagieren äußerlich so einige Panik verursachte. Irgendwann kriegte man aus der kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehenden Informationsdame heraus, dass man zu einem bestimmten Gate gehen müsste. Oh, hab ich gehen geschrieben? Rennen. Denn das Boarding wäre schon im Gange. (Und das, obwohl keiner wissen konnte, an welchem Gate das Flugzeug sein würde.) Okay, also Tasche unter den Arm und gerannt. Auf dem Weg wurde dann noch ein anderer Passagier von Sicherheitskräften aufgehalten, die der Meinung waren, sie müssten doch spontan mal prüfen, was auf seinem Laptop wäre. Ich hatte ja auch einen Laptop dabei, insofern hab ich innerlich gejubelt, dass der Kelch an mir vorbei ging. Als wir dann alle endlich am Gate und außer Atem waren, hatte das Boarding natürlich noch nicht stattgefunden. Es war nämlich gerade erst der Reinigungstrupp an Bord gegangen. Also durften wir noch einmal zwanzig Minuten warten, bevor wir ins Flugzeug durften. Ich saß wieder neben einem dicken Menschen. Aber inzwischen war mir eh alles egal, ich war mittlerweile seit 24 Stunden auf den Beinen.
Und mehr kann ich nicht erzählen. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich dann von Tegel nach Hause kam. Vermutlich lief ich da sowieso nur noch auf Notstrom.