Hurra, wir sind Neuland!
Angela Merkel hat sich mit ihrer Bemerkung, dass das Internet für uns alle Neuland wäre, viel Spott und Häme eingefangen. Und zwar zu Recht. Natürlich krochen sofort wieder jede Menge Apologeten aus ihren Löchern, die pikiert darauf verwiesen, dass sie in ihrem Bekanntenkreis ja die einzigen wären, die im Internet unterwegs sind, und es somit ja wohl Tatsache wäre, dass das Internet für viele ein Neuland darstelle. Und – so motzte irgendeine SPD-Trulla auf Twitter – so wie wir uns verhalten, wollen wir wohl auch gar nicht, dass die 27 Millionen Deutschen, die das Internet nicht oder kaum nutzen, etwas daran ändern.
Affenkacke. Ich war bisher noch nie in Bulgarien. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, es als Neuland zu bezeichnen, nur weil ich mich aus freien Stücken und mangels Interesse bisher nie aufgemacht habe, Bulgarien zu besuchen. Außerdem reden wir hier ja nicht von irgendeinem alten Muttchen, das irgendwann mit dem Aufkommen elektrischer Nähmaschinen aufgehört hat, die technologische Entwicklung weiterzuverfolgen, sondern von der Regierungschefin einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt.
Einige der wertvollsten Unternehmen des Planeten sind Firmen, die ihr Geld zum großen Teil oder fast ausschließlich mit oder über das Internet verdienen. Schon vor zehn Jahren gewöhnte man sich daran, in fast jedem Werbespot einen Verweis auf eine Website zu finden. Das Platzen der Dotcom-Blase hat noch davor eine nette Wirtschaftskrise ausgelöst. Das Internet ist als Quelle und Kommunikationsmittel für nahezu jeden Journalisten inzwischen unentbehrlich. Klingt alles nicht nach diesem unerforschten Grenzland, das kaum Auswirkungen auf die Leute daheim hat und in dem man mit dem Stock in jedes Gebüsch pieken muss, um herauszufinden, ob es tatsächlich eine gute Idee ist, in unbekannter Umgebung in fremde Büsche zu pieken. Zudem sollte man sich daran erinnern, dass unsere Regierung noch vor wenigen Jahren Stoppschilder im Internet aufstellen wollte. Wenn die offizielle Politik der Bundesregierung für unbekannte Bereiche ist, erst einmal Verbote durchsetzen zu wollen, anstatt zu schauen, was man damit so alles anfangen könnte, bin ich froh, dass die Deutschen wohl nie eine bemannte Mondlandung hinkriegen werden. Statt einer Fahne müsste ein deutscher Raumfahrer vermutlich erst einmal im Auftrag der Regierung Verkehrsschilder aufstellen.
Und während wir inzwischen paradoxerweise gezwungen sind, einige Arten der Steuererklärung durch diese angebliche digitale Prärie ans Finanzamt zu schicken, wird in anderen Bereichen der Provinzialismus der Deutschen regelrecht zelebriert. Das Internet ist Neuland, da können wir doch nicht wissen, dass die Leute leicht angepisst darauf reagieren, wenn der Staat ihre Post liest. Das Internet ist Neuland, da kann doch keiner erklären, warum Deutschland es nicht packt, große Internet-Konzerne à la Google und Amazon hervorzubringen. Das Internet ist Neuland, da macht es doch nichts, dass wir beim Ausbau der Breitbandzugänge hinter solchen ökonomischen Giganten wie Ungarn und Rumänien liegen. Und weil das Internet auch so ein Neuland ist, ist es doch egal, dass man hierzulande eine Rundfunklizenz beantragen muss, wenn man vorhat, z. B. per Google Hangout ein Live-Streaming für mehr als 500 Zuschauer durchzuführen.
Es ist also ganz klar: Erst einmal muss dieser neumodische Kram sich überhaupt durchsetzen, dann kann unsere Regierung mal anfangen zu schauen, ob sich damit tatsächlich irgendwas Sinnvolles tun lässt.
Gast
Das mit der rundfunklizenz find ich interessant oO
Gilt das auch, wenn man z.B. auch twitch tv rumstreamt? Gibts ja auch n paar deutsche mit mehreren tausend zuschauern bei jedem stream.