Mit einiger Belustigung beobachte ich die neue Episode in der Reihe "Selbstdemontage der Piraten". Nicht weil ich mich besonders darüber freuen würde, wenn die Piraten zugrunde gingen, vielmehr ist es wie ein Lehrstück über Leute, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit zerrieben werden und im Zuge der Selbsterkenntnis einen Kleinkrieg ausfechten.
Es geht um Julia Schramm, Mitglied im Bundesvorstand der Piraten. Die hat ein (wohl nicht sonderlich gutes) Buch geschrieben und die Rechte an einen Verlag aus der Verlagsgruppe Random House verkauft, und zwar zu einem wirklich erstaunlich hohen Vorschusshonorar von 100000 Euro. Jetzt möge man sich daran erinnern, dass es im Parteiprogramm der Piraten heißt:
Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern, um die allgemeine Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur zu verbessern, denn dies stellt eine essentielle Grundvoraussetzung für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar.
Das wollten einige mal ausprobieren und haben ein PDF von Julia Schramms "Klick mich" zum freien Herunterladen ins Netz gestellt. Random House hat allerdings mit Verweis auf ihre Autorin die Entfernung des PDFs veranlasst. Innerhalb der Partei regt sich Widerstand, außerhalb der Partei dürfte gerade bei vielen Kreativen ein innerer Reichsparteitag stattfinden. Lustig ist auch zu sehen, dass manche Leute den inneren Widerspruch auf Teufel komm raus wegzureden versuchen, so etwa im SPIEGEL-Online-Forum, wo jemand tatsächlich argumentierte, dass die Entfernung vom Verlag veranlasst wurde und nicht von Julia Schramm, daher also keinerlei Widersprüche zu den persönlichen Ansichten der Politikerin zu erkennen seien. Bullshit. Die Frau hat mit ihrer Unterschrift unter den Verlagsvertrag ganz wissentlich bestimmte Rechte an den Verlag abgetreten. Sie wusste genau, was der Verlag tun würde, wenn er Kenntnis von unerlaubten Downloadmöglichkeiten erhält. Das hat sie ganz bewusst in Kauf genommen.
Julia Schramms Reaktion ist bemerkenswert unreflektiert, wenn man Süddeutsche.de glauben darf. "Ich finde es sehr erwartbar und eigentlich traurig, was jetzt passiert. Das ist eine Provokation, es geht nur darum mich vorzuführen, jetzt krakeelt eben wieder der Mob." Ach je, ich heule gleich.
"Es ist ja klar, dass der Verlag dagegen vorgeht, wenn mein Buch auf einer Homepage zum Download steht. Ich sehe darin auch keinen Widerspruch. Ich lehne nicht das Urheberrecht, sondern den Begriff des geistigen Eigentums ab, weil er ein Kampfbegriff ist", verteidigte sich die Piraten-Politikerin.
Hm, der erste Satz ist schön. "Es ist ja klar, wenn eine Plattenfirma dagegen vorgeht, wenn Lieder der Band XYZ auf einer Homepage zum Download stehen." Den Satz würde sie sicher auch unterschreiben. Oder auch: "Es ist ja klar, wenn ein Hollywoodstudio dagegen vorgeht, wenn von ihnen produzierte Filme auf einer Homepage zum Download stehen." Ist sicher genau auf der Linie von Julia Schramm, oder? Und wenn nicht, wieso ist das bei ihrem Buch etwas anderes?
Sie lehnt den Begriff des geistigen Eigentums ab, weil er ein Kampfbegriff wäre. Das ist keine Erklärung. Warum hat sie an ihrem Buch ein Urheberrecht, also unter anderem das Recht, über die Verbreitung zu bestimmen und dieses Recht anderen einzuräumen? Warum hat sie bei ihrem eigenen Buch dieses Recht, aber nicht bei anderen Büchern? Ganz einfach, weil es ihr Werk ist. Es ist nicht an eine materielle Form gebunden; es ist egal, ob es ein gedrucktes Buch ist, eine Datei oder eine CD, es geht rein um das, was sie mit ihrer geistigen Schöpfungskraft erschaffen hat. Es geht um die geistige Leistung, und es geht darum, dass es ihre geistige Leistung ist. Genau deswegen heißt es geistiges Eigentum. Das ist kein Kampfbegriff, es ist eine Begründung für die Existenz des Urheberrechts, für das sie ja selbst nach eigenen Aussagen ist.
Sie feiert sich und den Verlag jetzt dafür, dass es keine Abmahnung gegeben hat für das Anbieten des PDFs. Das ist aber nicht das, was im Parteiprogramm steht und wofür sie selbst als Politikerin eintritt. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass der Verzicht auf eine Abmahnung bewusst im Hinblick auf die Befindlichkeiten der Autorin geschehen ist. Es gibt in den allermeisten Fällen keine Abmahnung, wenn urheberrechtlich geschütztes Material von Youtube oder irgendwelchen Filesharingwebsites nach einer Mitteilung entsprechend des amerikanischen DMCA gelöscht wird, schon weil es sowieso meist zu kompliziert ist, den Uploader einwandfrei zu identifizieren. Aber nein, irgendwie muss die Frau ja schönreden, dass sie Wasser predigt und Wein säuft.
So lustig das alles auch ist: Es wäre schöner, wenn Julia Schramm zu dem stehen würde, was passiert ist, und für uns Kreative endlich ein Sprachrohr innerhalb der Piratenpartei werden würde, anstatt weiter mit auf diejenigen einzuprügeln, die in offenen Briefen ihre Existenzangst zum Ausdruck bringen, weil die entgangenen Erlöse dank kostenlosem Verteilen im Netz eben meistens nicht durch freiwillige Gaben aufgefangen werden können. (Das müsste den Piraten eh schon bekannt vorkommen, weil 40 Prozent der Mitglieder nicht mal bereit sind, für ihre eigene Partei Beiträge zu bezahlen, und auch ein bisschen Geld für den Bundesvorstand für die meisten Leute schon zu viel verlangt ist.)
Sie hat obszön viel Geld als Vorschuss bekommen, das ist für angehende Autoren traumhaft. Vielleicht kennt sie deswegen nicht das bange Gefühl, ob die Buchverkäufe ausreichen werden, um doch noch ne Honorarzahlung zu kriegen, weil Krankenkasse oder Vermieter schon wieder Geld haben wollen. Aber vielleicht hat sie doch inzwischen ein bisschen Einblick gewonnen, warum so viele Kreative das Grausen kriegen, wenn sie hören, dass sie das Recht verlieren sollen, über die Verbreitung ihrer Werke zu bestimmen, und das ohne Gegenleistung. Das würde ich mir wirklich wünschen.